Ungarn: Angst vor zweiter Schlammwelle:"Die Mauer wird brechen"

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Experten halten eine zweite Giftschlamm-Lawine in Ungarn für unausweichlich. Die Bewohner des Katastrophengebiets müssen sich zudem mit verständnislosen Banken und Arbeitgebern herumschlagen.

Das ungarische Umweltministerium ist sich mittlerweile sicher, dass der Damm eines Giftschlamm-Beckens unausweichlich brechen und eine weitere Welle den Ort Kolontár treffen wird. Umweltstaatssekretär Zoltán Illás sagte, kürzlich festgestellte Risse in der Nordwand des Reservoirs einer Aluminiumfabrik hätten nur vorübergehend aufgehört, sich zu vergrößern. Das sei aber bloß Folge von günstigen Wetterbedingungen. Die Risse würden sich aber unaufhaltsam erweitern, besonders nachts.

Auf dem Luftbild des Damms, hinter dem weiterer Giftschlamm eingeschlossen ist, sind Risse zu sehen. "Die Mauer wird brechen", sagte Umweltstaatssekretär Zoltán Illés.  (Foto: dpa)

"Die nächste Tragödie kann morgen oder in einer Woche stattfinden, aber die Mauer wird brechen", sagte Illés nach Informationen der deutsprachigen Zeitung Pester Lloyd.

Vor einer Woche hatte eine Giftschlammlawine binnen einer Stunde drei Dörfer überschwemmt und mindestens sieben Menschen getötet. Bei dem Stoff handelt es sich um Rotschlamm, der bei der Aluminiumherstellung anfällt.

Illés sagte nun, dass die neuerliche Welle das Dorf Kolontár, rund einen Kilometer nördlich des Beckens, erneut überfluten werde. Die Brühe werde dann aber kurz vor der nächsten Ortschaft haltmachen.

Nach der neuerlichen Hiobsbotschaft war Kolontár am Samstag komplett geräumt worden, Ministerpräsident Viktor Orbán war ein zweites Mal herbeigeeilt, um die Anweisungen zu erteilen. Der Katastrophenschutz baut eilig neue Dämme, damit bei einem neuen Bruch wenigstens der unversehrte Rest Kolontárs und der anderen Dörfer vor der neuen Flut bewahrt werden.

Verständnislose Banken und Arbeitgeber

Das Blatt Pester Lloyd äußerte Zweifel an den von der Regierung, der Aluminiumfabrik und den Versicherern angekündigten "umstandslosen Soforthilfen" für die in Turnhallen untergebrachten 715 Katastrophenopfer. Deren Lebenssituation sei nicht nur tragisch, sondern zum Teil auch "grotesk". Einwohnern, die auf Aufforderung der Behörden hin ihre zerstörten Häuser zurückließen, säßen jetzt die Banken im Nacken: Die Institute forderten die fristlose Rückzahlung ihrer Hypothekenkredite, da "die notwendigen Sicherheiten nicht mehr existieren", schreibt das Online-Blatt.

Auch von einer Frau ist die Rede, der die Kündigung drohe, wenn sie nicht pünktlich zur Arbeit erscheine.

Die Betreiberfirma der Aluminiumhütte hat indes mit einer neuen Pressemitteilung für neuen Unmut gesorgt. Nach der Einstellung des Betriebs sei die "ungarische Tonerdeproduktion in Gefahr", teilte der Aluminium-Hersteller MAL auf seiner Homepage mit. Sofern die Produktion nicht innerhalb der nächsten ein bis zwei Tage erneut starte, sei diese längerfristig in Gefahr. "Dadurch kann ein derartig großer Verlust von Märkten hervorgerufen werden, der die Lebensfähigkeit des Werkes und somit auch die Schadensbeseitigung und Wiederherstellung erheblich in Frage stellt", heißt es in der Mittelung weiter.

MAL hatte am Sonntag den Hinterbliebenen der sieben Todesopfer kondoliert und sich zugleich dafür entschuldigt, dies erst sechs Tage nach dem Bruch des Damms getan zu haben. Ferner erklärte sich das Unternehmen bereit, "im Verhältnis zu seiner Verantwortung" Schadensersatz zu leisten.

MAL bei Allianz-Tochter versichert

Die Höhe des Sachschadens ist noch nicht absehbar. Für ihn muss möglicherweise die Allianz geradestehen. Ein Sprecher von Europas größtem Versicherer sagte, MAL sei bei der ungarischen Allianz-Tochter versichert. Der Aluminium-Herstelelr sei sowohl gegen Sachschäden an der Anlage als auch gegen Haftpflichtansprüche abgesichert. Details zur Höhe des Versicherungsschutzes wollte die Allianz nicht nennen.

Unklar ist auch, ob die Deckung überhaupt greift. Bei grober Fahrlässigkeit können Versicherer Zahlungen verweigern. Umweltorganisationen geben dem Betreiber die Schuld an dem Unglück.

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