Zwischennutzungen:Eine Frage der Zeit

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Das Provisorium schließt bald - warum das trotzdem kein Grund zur Trauer ist

Von Laura Kaufmann

Das Provisorium an der Lindwurmstraße trägt die Vergänglichkeit im Namen. Ursprünglich auf ein paar Monate befristet, konnte die charmante Bar mit ihren selbst angesetzten Wodkas und ihren Ausstellungen sechs Jahre bleiben. Nun wird sie im Mai schließen. Manch einer bemängelt empört, dass der namensgebende Zustand tatsächlich wahr wird. Doch das ist zu kurz gedacht.

Das Wesen einer Zwischennutzung von Räumen ist es, dass sie früher oder später wieder aus der Stadt verschwindet. Oft überbrückt sie die Zeit, bis Umbauten begonnen oder leer stehende Gebäude abgerissen werden. Die Ruby Bar zum Beispiel, die einen Flachbau an der Reichenbachbrücke bespielte, draußen Biergarten, drinnen Club. Vergangen, aber nicht vergessen. An ihrer Stelle grüßen jetzt Luxussuiten.

Das Provisorium bot auch der Kleinkunst Platz. (Foto: Florian Peljak)

Dass das Ende jetzt auch für das Provisorium kommt, sollte für Freunde der Bar kein Anlass zur Trauer sein. Zwischennutzungen schließen nun mal irgendwann. Und gerade das Temporäre, das Begrenzte ist es, was ihren besonderen Reiz ausmacht. Oft entstehen sie an besonderen Orten, Locations, die niemals langfristig an einen Gastronomen vermietet werden würden. Nein, dass es mit einem solchen Projekt irgendwann vorbei ist, liegt nicht unbedingt an der "bösen" Gentrifizierung. Könnten Vermieter nicht darauf zählen, dass eine Zwischennutzung schließt wie angekündigt - niemand würde sich mehr darauf einlassen.

Das Puerto Giesing in urbanem Flair. (Foto: Robert Haas)

Es gibt Zwischennutzungen in allen Größen und von unterschiedlichster Dauer, für beinahe jeden Geschmack. Genau dann, wenn das Provisorium schließt, eröffnet für voraussichtlich zwei Jahre das größte Projekt in der ehemaligen königlichen Filialbank an der Kardinal-Faulhaber-Straße: The Lovelace. Die Betreiber um Gastronom Michi Kern investieren etwa eine Million Euro und haben sogar Hotelzimmer eingeplant. Wenn hier Geburtstage gefeiert werden, wird wohl eher der Champagner fließen als dass die Bierflaschen aneinander stoßen.

Die Ruby Bar wurde zu einer Münchner Legende. (Foto: Robert Haas)

Im Sommer wird, so die Stadt es will, jemand Sand am Vater-Rhein-Brunnen aufschütten, im Viehhof wird ein urbaner Biergarten entstehen, im früheren Imax werden wilde Raves gefeiert werden und am Ostbahnhof werden Barthipster mit Longdrinks in der Hand zwischen Schiffscontainern und Gemüsekisten sitzen. Alles auf Zeit.

Zwischennutzungen halten die Stadt lebendig, sie wachsen in Ecken und Hinterhöfen, die andernfalls tot und unbeachtet geblieben wären. Und weil sie vergänglich sind, will sie jeder gesehen haben, bevor es vorbei ist. Im besten Fall wird aus einer Zwischennutzung eine Ära. Puerto Giesing, mag einer raunen, und schon sehen sich alle wieder durch das alte Kaufhaus tanzen. "Schmeckt nicht wie die Pizza im Watzart", mag einer beim Essen sagen und an einen Sommerabend im vollgesprayten Werkstatthinterhof denken. Verliebte mögen die Maxvorstädter Lückenfülle im Herzen tragen, weil sie dort den ersten scheuen Kuss wagten, auf einer Bierbank, von der der Lack splitterte.

All diesen vergangenen Orten wohnt eine Magie inne, ein geteiltes Geheimnis. Diese Magie entsteht auch anderswo, aber seltener. Weil die meisten Bars nicht dann schließen, wenn es am schönsten ist. Sondern dann, wenn sie nicht mehr rentabel sind. Wer auf dem Höhepunkt seines Seins ein Ende findet, der kann zur Legende werden.

© SZ vom 28.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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