Zwischen Neid und Verklärung:Münchner Identität

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Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung klaffen weit auseinander, denn vor allem Außenstehende lästern gerne über die Stadt. Eine Suche nach Antworten auf die Vorurteile

Von Philipp Kreiter

Nur Einheimische dürfen ihre Heimatstadt kritisieren. Das gilt nicht für München. Die Stadt bekommt immer wieder mal wieder den Spott und die Vorurteile aus dem Rest der Republik ab. Man wirft München nur allzu gerne vor, versnobt, überteuert und langweilig zu sein. Liegt das, wie viele Münchner gerne behaupten, an dem allgemeinen Neid auf die Schönheit der Stadt? Oder ist es mehr als das? Gibt es eine Münchner Identität, die die Unwissenden zum Spotten verleitet? Und wenn ja, worin äußert sich diese Identität? Die Sozialwissenschaften liefern erste Antworten.

Vorneweg: Die meisten Sozialwissenschaftler sind sich in einem Punkt einig - es gibt nicht die eine Identität. Jeder Mensch, jede Stadt, jeder Staat besteht aus vielen sich überlagernden Identitäten. Selbstverständlich findet jede Theorie genauso viele Unterstützer wie Feinde. Es gibt einen Ansatz, der im Hinblick auf die Münchner Identität eine Erklärung liefert. Etienne Francois und Hagen Schulze haben sich mit Erinnerungsorten beschäftigt. Dabei müssen nicht Orte im eigentlichen Sinn gemeint sein, die Identität nachhaltig prägen, sondern Personen, Ereignisse, oder Symbole.

Was macht München mit Dir? Folge 16 Was macht München mit Dir? Folge 16 (Foto: SZ-Grafik)

Vielleicht gibt es demnach viele Münchner Erinnerungsorte, die eine solche Identität konstruieren. Und vielleicht erklärt das das ungewöhnliche Verhältnis von Münchnern wie auch Nicht-Münchnern zu dieser Stadt. Für viele gibt es ihn noch, den perfekten Münchner: den Monaco Franze. Die von Helmut Dietl geschaffene und von Helmut Fischer virtuos verkörperte Figur des Kommissars und Lebemanns Franz Münchinger alias Monaco Franze. Mit augenzwinkerndem Charme mogelt sich der "Stenz" stets gut aussehend und gut gelaunt durch die Widrigkeiten des Lebens. Dass dieses Bild von München noch immer Konjunktur hat, zeigt sich an der ungebrochenen Beliebtheit der mit zehn Folgen recht kurzlebigen Serie.

Leider ist das Bild des Monaco Franze wohl nur eine verklärte Momentaufnahme der Vergangenheit von München. Zwischen überteuerten Szenebars und strenger Stadtverwaltung ist heute nicht mehr so viel Platz für Boazn und Durchmogelei.

Grund für den Snobismus-Vorwurf könnte ein anderer Erinnerungsort sein: der Fußball. Genauer der FC Bayern München. Während es lange Zeit zwei bis drei Münchner Vereine gab, die Erfolge vorweisen konnten, gibt es derzeit eine erdrückende Konzentration auf die Bayern. Der Herzensverein vieler Münchner, der 1860 München, hängt seit knapp zehn Jahren in der zweiten Liga fest.

Für viele ist er der typische Münchner: die Statue des verstorbenen Schauspielers Helmut Fischer ("Monaco Franze") vor seinem Stammcafe an der Münchner Freiheit. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Ein dritter Erinnerungsort, der den Münchnern wohl eher von außen aufgedrängt wurde, aber der viel von dem aktuellen Image ausmacht, ist eine zwiespältige Sache: Viele Münchner sehen sich auch heute gerne als "Schickeria", als bayerische, wenn nicht gar deutsche Elite. Sie fahren ihre schnellen Autos auf der Leopoldstraße spazieren, haben sündhaft teure Wohnungen und treffen sich auf der Wiesn am liebsten im Käferzelt - standesgemäß in Tracht. Das umliegende Bayern blickt gerne herablassend darauf - und das ist die zweite Seite dieser Medaille - bezeichnet die Münchner Stadtbevölkerung gerne als "Isarpreißn", bloße Karikaturen von echten Bayern, die meist nicht mal mehr Bairisch sprechen. Deshalb hört man auch so viel von den Vorurteilen gegenüber der Stadt: die Mieten teuer, die Szene klein, die Nase hoch.

Selbstwahrnehmung und die Wahrnehmung von außen gehen häufig auseinander. Das ist selten so extrem wie im Falle von München. Auf der einen Seite das gemütliche Münchner Selbstverständnis, la Bella Vita in der nördlichsten Stadt Italiens, und auf der anderen Seite der Eindruck der Abgehobenheit, den die Stadt auf Auswärtige macht. Es stimmt also, die eine Identität gibt es nicht, besonders nicht im Fall von München. Genauso wenig, wie die Münchner bei einem flüchtigen Blick alle Facetten von Hamburg, Berlin oder Köln erfassen, erfasst der Hamburger, Berliner oder Kölner alle Münchner Facetten. Die Devise lautet also, die ganze Identitätsdebatte nicht zu ernst zu nehmen. Es gilt, Ruhe zu bewahren.

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(Foto: Alper Özer)
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Tobi Tzschaschel, 30 Jahre geboren in Hausham Beruf: rund um die Musik Selfie: privat

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(Foto: Alper Özer)

...zufrieden, wenn man mit frischer Gänsehaut aus dem Eisbach klettert, ein Helles aufmacht und sonst gar nix zu tun hat; grantig, wenn der nächste innerstädtische Subkultur-Raum einer Immobilieninvestition weichen muss; schelmisch vergnügt, wenn ein paar Freigeister dann doch wieder einen Ort für ein neues Baumhaus gefunden haben.

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(Foto: Alper Özer)

...Freigeister, die Baumhäuser bauen wollen, und Raum, an dem etwas auch mal unwirtschaftlich, unvernünftig, unangepasst sein darf.

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(Foto: Alper Özer)

...wie Konstantin Weckers "Wieder Dahoam" im Feinkost Paranoia Remix, wie Willy Michls Platte "Blues und Balladen" im Giorgo Moroder Rework.

Zumindest die Münchner Jugend hat einen Weg gefunden, sich mit ihrem Snob-Image auseinanderzusetzen. Auf der besonders bei Studenten beliebten App "Jodel" wurde ein Alter Ego für den typischen Münchner Wohlstandsstudenten geschaffen: Justus ist etwa 21, studiert alibimäßig Betriebswirtschaft an der Münchner TU und lebt aus Papis Tasche. Abziehbildmäßig posten die Nutzer in seinem Namen mal mehr, mal weniger witzige Sprüche, die sich meist durch eine herrlich naive "Eure Armut kotzt mich an"-Attitüde auszeichnen. Bereits der Psychoanalytiker Erik H. Erikson wusste, dass sich Identität besonders dadurch vom Totalitarismus unterscheidet, weil ihr die Fähigkeit zur Selbstironie erhalten bleibt. Und das weiß auch Justus, 21, TUM-BWL.

© SZ vom 01.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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