Zwanzig Jahre "Rosa Liste":Partei aus Notwehr

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Vor zwanzig Jahren gründete sich die "Rosa Liste" - als Reaktion auf die schwulenfeindliche Politik Peter Gauweilers. Heute sitzt die Partei im Stadtrat.

Jan Bielicki

Zu elft waren sie am Anfang. Elf schwule Männer trafen sich im Herbst 1989 in einer Wohnung im Glockenbachviertel. Der Stadtrat Gerd Wolter war dabei, den die Grünen allerdings zur bevorstehenden Ratswahl nicht mehr auf die Wahlliste gesetzt hatten. Oder der damals 28-jährige Theologe Thomas Niederbühl, der gerade sein Referendariat als Religionslehrer beginnen wollte. Doch das durfte er nicht. Die katholische Kirche entzog ihm die soeben erworbene Lehrerlaubnis, weil Niederbühl sich offen dazu bekannte, Männer zu lieben.

Rita Braaz und Thomas Niederbühl, die Münchner Stadträte der Rosa Liste. (Foto: Foto: Catherina Hess)

Es waren Zeiten, die längst vergangen erscheinen, heute, da ein schwuler Vizekanzler Deutschland repräsentiert, schwule Bürgermeister Metropolen wie Berlin, Hamburg oder Paris regieren und eine lesbische Journalistin die bekannteste Polittalkshow des Landes moderiert. 1989 aber stand die Mauer der Diskriminierung von Schwulen und Lesben noch - und zwar in München höher und fester als sonst im Land.

"Ziel war, die Szene zu zerschlagen"

Berüchtigt war der "Maßnahmenkatalog", mit dem in den achtziger Jahren der damalige Innenstaatssekretär Peter Gauweiler die schwule Szene drangsalierte - unter dem Vorwand, die Krankheit Aids einzudämmen. Den Schwulen - von CSU-Politikern als "Todesbomber" diffamiert - drohten medizinische Zwangstests, den Szenelokalen regelmäßige Razzien der Münchner Polizei. Die führte damals noch sogenannte rosa Listen, die widerrechtlich Personen erfassen, denen die Behörden homosexuelle Veranlagung unterstellen. Was die Repression wollte, ist für Niederbühl heute noch klar: "Ziel war, die Szene zu zerschlagen."

"Rosa Liste" nennen die elf Männer die politische Wählervereinigung, die sie zu gründen beschließen. "Aus Notwehr heraus", so erinnert sich Niederbühl, entstand damit etwas, was es bis dahin in ganz Europa noch nicht gegeben hatte: ein politischer Zusammenschluss der schwulen Szene, der den Kampf um die Gleichberechtigung der Homosexuellen auch in die Wahllokale und ins Rathaus tragen wollte.

Dass das ausgerechnet in München geschah, lag eben "am Druck von außen", erklärt Niederbühl. Gauweilers brachiale Aids-Politik schweißte Münchens politisch sehr unterschiedlich denkende Schwule zusammen. Zwar verfehlte ihre neue Liste 1990 den Einzug in den Stadtrat. Aber was sich daraus in den zwei folgenden Jahrzehnten entwickelte, lässt Niederbühl von "einer der erfolgreichsten sozialen Bewegungen der letzten zwanzig Jahre" schwärmen.

"Wir haben Geschichte gemacht", sagt Niederbühl - "mit Stolz", jawohl, denn den Erfolg der schwul-lesbischen Bewegung "konnten wir uns selber nicht vorstellen". Dass gleichgeschlechtliche Paare heiraten dürfen sollten, daran haben sie damals noch gar nicht gedacht. Seit 2001 gilt das Lebenspartnerschaftsgesetz, von Bayerns CSU-geführter Staatsregierung lange bis vor das Bundesverfassungsgericht bekämpft.

1992 schlossen sich auch lesbische Bewegungen der bis dahin nur von Männern getragenen Rosa Liste an, die sich seither "schwul-lesbische WählerInnen-Initiative" nennt. 1996 schließlich, in ihrem dritten Anlauf, erreicht die Liste ein Ratsmandat. Stolz kann sich der neue Stadtrat Thomas Niederbühl beim Umzug zum Christopher Street Day seine Amtskette umlegen. Er gewinnt auch politisch schnell Einfluss, geht eine Fraktionsgemeinschaft mit den Grünen ein und wird damit Teil der Koalition von Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), die damals mit genau einer, nämlich Niederbühls Stimme Mehrheit regiert.

Rot-Grün-Rosa in München

2002 und 2008 wiedergewählt, pocht Niederbühl gerne darauf, dass in München nicht nur Rot-Grün, sondern Rot-Grün-Rosa die Geschicke der Stadt bestimmt. Für Münchens Schwule und Lesben bedeutet das: Die Stadt steht, auch finanziell, hinter den wichtigsten Einrichtungen der Szene, dem schwulen Kulturzentrum Sub, der Lesbenberatungsstellen Letra und Diversity, dem Zentrum für lesbische und schwule Jugendliche. Es gibt eine eigene städtische Koordinierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweise.

Beim Christopher Street Day marschiert der Oberbürgermeister inzwischen vorneweg, und das Rathaus steht den feiernden Schwulen und Lesben an diesem Tag offen. "Wir Lesben und Schwulen", sagt Niederbühl, "sind endgültig aus der Schmuddelecke raus."

In der Isarvorstadt kommt die Rosa Liste inzwischen auf Wahlergebnisse von knapp 13 Prozent. Der Rosa-Liste-Mann Alexander Miklosy steht seit sieben Jahren dem örtlichen Bezirksausschuss vor, zuletzt bei nur vier Gegenstimmen wiedergewählt. Aber "so weit, dass wir uns wegen unseres eigenen Erfolgs auflösen können", fühlt sich Rita Braaz noch nicht. Die Vorstandssprecherin der Rosa Liste sieht Homosexuelle noch keineswegs am Ziel völliger Gleichberechtigung.

Noch etwa dürfen sich kirchliche Arbeitgeber das Recht nehmen, Schwule und Lesben wegen ihrer sexuellen Neigung zu diskriminieren. Noch haben gleichgeschlechtliche Paare etwa bei der Adoption oder der Steuererklärung nicht die gleichen Rechte wie heterosexuelle Ehepaare. Vor allem aber erkennt Braaz noch viel alltägliche Diskriminierung, gerade und vor allem an Schulen: "Das Coming-out ist für Jugendliche heute nicht leichter, als es vor zwanzig Jahren war", hat sie beobachtet. "Wir haben noch viel zu tun", sagt auch Niederbühl, "solange Eltern sich nicht freuen, wenn ihr Sohn schwul oder ihre Tochter lesbisch ist."

© SZ vom 13.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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