Zuhause ausgezogen:Albtraum in Lila und Gelb

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Sylvia und Florian sind zu Hause ausgezogen, um sich von ihren Eltern zu emanzipieren. Bei ihr zeigte sich das am deutlichsten am Esstisch, bei ihm an den Shirts

Von Stefanie Witterauf

Sylvia glaubt, dass ihre Eltern gar nicht so werden wollten, wie sie jetzt sind. Altbacken, konservativ, spießig. Dort, wo sich die Maxvorstadt allmählich Schwabing nennt, ist Sylvia Kastl aufgewachsen. Der Vater Beamter, die Mutter Angestellte bei der Caritas. Daheim wird Bairisch gesprochen, zum Essen gibt es Fleisch mit Knödel. Die Balkone sind lila und gelb, die Markisen auch. Immer abwechselnd. So will es die Hausverwaltung. Dort ist das Spießertum zu Hause - dort wohnen aber auch jene, die daraus ausbrechen wollen. So ein Fall ist auch Sylvia, das Nesthäkchen der Familie. Schon als Elfjährige wollte Sylvia von zu Hause ausziehen. Mit 18 hat es dann endlich geklappt.

Mit zwei Freundinnen zog sie aus ihrem behüteten Nest in eine kleine Wohnung in Sendling. Hauptsache: Raus. Statt Eichenvitrine mit dem guten Geschirr, das nur an besonderen Feiertagen benutzt wird, gibt es jetzt ein blinkendes Discolicht in der Küche. Mehr als zwei Jahre lang teilte sie sich mit ihrer besten Freundin ein Zimmer. Jede Nacht schliefen sie zusammen in einem Bett. Finanzielle Unterstützung der Eltern wollte Sylvia nicht: Sie wollte es selber schaffen. "Wenn ich am Wochenende feiern gehen wollte, dann gab es halt während der Woche nur Kartoffeln", sagt sie.

Verzicht, das kennt auch Florian Netzer. Er musste während seiner Jugend darauf verzichten, zu sein, wer er eigentlich ist. In Pullach wuchs er im ältesten Familienbetrieb auf, einer Metzgerei, im Ort wurde viel getratscht. Anders zu sein, das kam für die Eltern nicht in Frage. "Wenn ich als Kind etwas angestellt habe, dann wussten es meine Eltern meistens schon, bevor ich nach Hause gekommen bin", erinnert sich Florian und verdreht die Augen. In der Gemeinde hätten ihn alle gekannt, den Sohn einer alteingesessenen Familie. Beobachtet habe er sich gefühlt. Seine Mutter habe ihn immer ermahnt, keinen Mist zu bauen, damit der Ruf der Familie nicht beschädigt wird. Sonst bleibe die Kundschaft aus. Also riss sich Florian zusammen. "Heute ist mir das egal", sagt Florian, der inzwischen auch optisch nichts mehr mit einem Spießer gemein hat. Er trägt ein ausgewaschenes Band-Shirt, dessen Ausschnitt er mit der Küchenschere erweitert hat.

Sylvias Emanzipation vom Spießertum fand nicht im Kleiderschrank statt, sondern - für zwei Jahre zumindest - auf dem Esstisch. Nach ihrem Auszug lebte Sylvia erst einmal vegan. Mit Fleisch und Knödeln war es vorbei. Ihr Vater konnte das nicht verstehen, die Mutter machte sich Sorgen um ihre Ernährung. Mittlerweile isst Sylvia wieder Fleisch, wenn sie bei ihren Eltern ist.

Auch Florian ist bei seinen Eltern nur noch zu Besuch. Nicht so seine Schwester. Sie ist zwei Jahre jünger als er, studiert Volkswirtschaftslehre, spielt Querflöte im Verein und wohnt noch zu Hause. "Spießig", nennt Florian das. Er wohnt inzwischen in Untergiesing, weiß aber, er könnte jederzeit wieder nach Pullach zu seinen Eltern ziehen. Zur Not. Spießigkeit hat eben auch ihre Vorteile.

© SZ vom 16.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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