Ein Biss des Baggermauls genügt. Schon rauscht das grüne Wasser der Würm durch den gebrochenen Damm, reißt Hölzer mit, sprudelt durch die Baustelle aus Kies und Felsen. Die Mulde im noch trockenen Bachbett ist Sekunden später eine tiefe Gumpe, und weiter strömt die neue Würm, bis das Wasser an den nächsten Damm klatscht. Christoph Hillenbrand steht dort in schwarzen Gummistiefeln, hebt sein Handy über die Menschenmenge und knipst, was sich gerade hier in Allach ereignet: Die Würm nimmt sich einen neuen Lauf.
Vor einem dreiviertel Jahr stand der Regierungspräsident von Oberbayern hemdsärmlig am Hauptbahnhof und erklärte vor laufenden Kameras der internationalen Presse, dass er und seine Bezirksregierung die Zehntausenden ankommenden Flüchtlinge gut und sicher unterbringen werde. "Wir tun alles, damit München leuchtet in Deutschland", sagte er im September. Jetzt steht der 58-Jährige an der Würm am nordwestlichsten Zipfel von München und sagt: "Wir haben hier, wie man auf Neuoberbayerisch sagt, einen Thrill."
Der "Thrill", oder auf Altoberbayerisch: das Spannende, ist die Flutung eines neuen Flussbetts für die Würm. Das Wasserwirtschaftsamt und die Flussmeisterei haben hier gemeinsam mit Experten des Münchner Baureferats in wenigen Monaten eine sich von Süd nach Nord schlängelnde Mulde gegraben. Nach dem Durchstich am Donnerstagvormittag ergießt sich innerhalb weniger Minuten das Würmwasser in das modellierte Kiesbett. Hillenbrand, der nach elf Jahren als Regierungspräsident in einer Woche das Amt des Präsidenten des Bayerischen Obersten Rechnungshofs antritt, genießt sichtlich eine seiner letzten öffentlichen Amtshandlungen. "Was hier an der Würm gelungen ist, ist bemerkenswert", sagt er.
Hillenbrand, der Flüchtlingshelfer, und Hillenbrand, der Flüsschenfreund: Das schließt sich nicht aus. Er ist auch oberster Chef des Wasserwirtschaftsamts, das den knapp 40 Kilometer langen Fluss mit betreut. Der plätschert als einziger Abfluss des Starnberger Sees (der bis 1962 Würmsee hieß) auf einer Länge von zehn Kilometern durch Münchner Stadtgebiet und mündet schließlich bei Hebertshausen im Landkreis Dachau in die Amper. In Hebertshausen wohnt übrigens auch Christoph Hillenbrand.
Er kann sich auch noch gut erinnern, als sich an der Stelle, wo nun die Würm einen neuen kleinen Seitenarm erhalten hat, ein Bretterzaun befand, der dahinter das Allacher Sommerbad verbarg. 2009 beschloss der Münchner Stadtrat, das 1938 von Allacher Bürgern gebaute Bad zu schließen und abzureißen. Es rentierte sich nicht mehr, doch bis heute protestieren Menschen im Stadtviertel gegen die Schließung. "Es gibt noch viele Kämpfer fürs Freibad", räumt Grünen-Stadträtin Sabine Krieger ein. Allerdings sei nun ein Kompromiss entstanden, der nicht nur eine neue Erholungsfläche für die Allacher und Untermenzinger sei, sondern auch ökologisch aufgewertet werde. "Eine wunderbare und perfekte Verbindung von Freizeit- und Naturerlebnis - und das in der Stadt", schwärmt die Stadträtin.
Die ökologische Bedeutung des künftigen Erholungsparks ist tatsächlich groß. Mit der Flutung des Nebenarms ist eine dicht bewachsene Insel entstanden, die Rückzugsgebiet für Vögel und Reptilien sein wird. Auch Fische dürften sich bald in der Gumpe und den unterschiedlich gestalteten Wasserzonen heimisch fühlen. Zwar dürfen die Besucher auch durch den etwa 50 Zentimeter tiefen Seitenfluss der Würm waten, um auf die neue Insel zu gelangen. Allerdings wird diese spätestens in zwei Jahren so dicht bewachsen sein, dass sich eher Tiere als Menschen dort wohl fühlen. Dafür entsteht im Südteil der Anlage ein neues Beachvolleyballfeld, im Norden wird der Spielplatz noch verschönert und umgestaltet. Aber mit der neuen Grünanlage, die an der stark befahrenen Eversbuschstraße liegt, ist ein 130 Hektar großer Grünzug entstanden, der vom Würmtal über den Pasinger Stadtpark bis nach Allach reicht. Bereits im Jahr 2009 wurde ein neuer Seitenarm für die Würm an der Mergenthaler Straße in Obermenzing geschaffen. Die Fische fühlen sich dort richtig wohl, sagt ein Mitarbeiter des Wasserwirtschaftsamts und lächelt.
Am neuen kleinen Flussabschnitt der Würm in Allach fühlen sich am Donnerstag zumindest schon mal die Anwohner wohl. Ein paar Schüler sitzen am Ufer und beobachten, wie sich die Würm ihr neues Nebenbett erobert. Drei Frauen haben die Hosen aufgekrempelt und stehen plaudernd im Bach, der nun nicht mehr gurgelt, sondern ruhig und grün dahinfließt. Die kleine Würm, nach der die jüngste Eiszeit benannt wurde, hat wieder ein Stück ihrer alten Größe zurückerhalten.