Zwischen Icking und Lenggries:Noch viel Spielraum für Kultur

Lesezeit: 2 min

Nach einer Studie der Hochschule für angewandte Wissenschaften schöpft der Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen längst nicht alle Potenziale aus.

Birgit Lotze und Wolfgang Prochaska

Die Kulturwirtschaft hat viele Gesichter. Albrecht Widmann betreibt in Geretsried eine Galerie: den "Kunstbunker". (Foto: WOR)

- Für die Geretsrieder Bürgermeisterin Cornelia Irmer ist die Sache klar: "Die Kultur schafft Identifikation und ist ein wesentlicher Standortfaktor für die Region. " Die Kommunalpolitikerin setzt sich für das Heimatmuseum ein, für den Kulturherbst und die Musikschule. Eine Studie der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München hat den Kulturbereich jetzt unter rein wirtschaftlichen Aspekten betrachtet. Darin ist von einer Kultur- und Kreativwirtschaft die Rede - dazu zählen nicht nur Künstler wie Musiker, Bildhauer oder Schauspieler, sondern auch Buchhändler, Grafiker oder Entwickler von Computerspielen und Werbegestalter.

In der Studie kommt den Kreativen im Oberland aus wirtschaftlicher Sicht eine nicht unwesentliche Bedeutung zu, doch diese könnte höher sein. Denn für die meisten der Kulturschaffenden ist, anders als in Starnberg oder München, ihre Kunst eine brotlose: In Bad Tölz-Wolfratshausen haben sich 1450 Unternehmen im Sektor Kunst- und Kreativwirtschaft angemeldet. Nur 624 verdienen damit mehr als 17 500 Euro im Jahr und können davon leben.

Klaus Wollenberg, Professor für Betriebswirtschaft an der Hochschule München, kommt in der Studie zu dem Ergebnis, dass sich die Kultur- und Kreativwirtschaft rund um München zu einem Wirtschaftsfaktor erster Güte entwickelt hat. Seine Untersuchungen bestätigen: Geht es um kommerziell arbeitende Betriebe aus den Bereichen Musikwirtschaft, Buch- und Kunstmarkt, Film-, Rundfunk- und Designwirtschaft oder Architektur, Presse- und Werbemarkt, vor allem aber ums Programmieren und Vermarkten, sind die Kreativen eine wirtschaftliche Macht.

Dies trifft allerdings eher auf die Nachbarn zu: Im Landkreis München werden laut der Studie in diesem Bereich jährlich mehr als 20 000 Euro je Einwohner umgesetzt, in München 7800 Euro. Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen liegt der Pro-Kopf-Umsatz bei 1117 Euro - das entspricht Werten im Landkreis Dachau, Ebersberg oder in Altötting, aber reicht bei weiten nicht an den Wert Starnbergs, der fast viermal so hoch ist.

Laut Wollenberg hat der Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen durchaus mehr Potenzial. Denn eigentlich ist die Zahl der im Kultursektor agierenden Unternehmen hier vergleichsweise hoch, doch 826 verdienen zu wenig, um steuerpflichtig zu sein. Der Wissenschaftler sieht das auch als Ansatzpunkt. "Da es sich ja um bereits in den kulturellen und kreativen Berufen aktive Erwerbstätige handelt, sind gute Chancen für die Wirtschafts- und Regionalförderung gegeben, durch gezielte Förderangebote zu helfen, diese Kleinbetriebe voranzubringen."

Kreativschaffende selbst sehen eher Scheren in den Köpfen von Politikern und Bürgern. "Viele sind leider der Meinung, dass wir genug Kultur haben", stellt Christoph Bühring-Uhle, Geschäftsführer der BSC Music in Münsing und dort auch Gemeinderat, fest. Vielerorts werde zu wenig oder falsch gefördert oder mit zu wenig Interesse begleitet. Er frage sich, wie es sein könne, dass eine Stadt in diesem Jahrtausend einen Neubau mit dem Charme der 70er-Jahre zulasse - eben die Loisachhalle. Bühring-Uhle hat jedoch den Eindruck, dass sich in jüngster Zeit "mehr bewegt". Ein Beispiel ist für ihn ein Flyer, mit dem die Agenda Kultur in Münsing seit Anfang des Jahres eigentlich nur zweimal jährlich mit sechs Seiten die kulturellen Veranstaltungen im Umfeld bekannt machen wollte: Der Flyer werde mittlerweile alle zwei Monate mit zwölf Seiten produziert.

Auffällig sind in der Studie die regionalen Unterschiede im Landkreis. Fast 400 der 1450 Unternehmen haben sich in Geretsried angemeldet, 230 sind in Bad Tölz ansässig. Lediglich 75 sitzen in Wolfratshausen, das sind weniger als in Münsing, wo es 82 "Kreative" gibt, oder in Lenggries mit 116. Die meisten arbeiten im Softwarebereich oder im Werbemarkt, sind nicht den klassischen Künsten zuzurechnen. Doch auch die Kunst- und Kulturschaffenden bevorzugen Geretsried und Bad Tölz. So sind in Geretsried 18 und in Bad Tölz 14 darstellende Künstler gemeldet. In Wolfratshausen sind es drei. Die Musikbranche - Tonstudiobetreiber, Verleger - ist ebenfalls stärker in Geretsried (27) oder Bad Tölz (19) als in Wolfratshausen (5) anzutreffen. Elf Bühnen-, Fernseh- oder Filmkünstler wohnen in Geretsried, in Wolfratshausen ist kein einziger angemeldet.

© SZ vom 22.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: