Zum Tag des offenen Denkmals:Ein echtes Schmuckkästchen

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Das alte Schusterhaus in Kochel präsentiert sich

Von Petra Schneider, Kochel am See

Wer das alte Schusterhaus an der Bahnhofstraße in Kochel betritt, befindet sich mitten in einer Zeitreise. Im kleinen Verkaufsraum gleich hinter der Eingangstür sind Schuhe sauber eingeordnet, im Regal gegenüber stapeln sich Schuhschachteln, als wäre hier eben noch gearbeitet worden. In der Werkstatt stehen urgroßväterliche Maschinen: ein Ungetüm aus der Zeit um 1900, mit dem das Leder geschmeidig gemacht wurde. Eine kniehohe Singer-Nähmaschine oder eine Aufputzmaschine zum Polieren aus dem Jahr 1960. Beim Fenster über der Werkbank lassen sich zwei Türchen öffnen, in denen die Schuhe zur Reparatur durchgereicht wurden.

Max Leutenbauer, hier im denkmalgeschützten Schusterhaus, leitet den Kochler Heimatverein. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Zehn Generationen von Schustern haben in dem Haus an der Bahnhofstraße gelebt, das im Jahr 1581 erstmals urkundlich erwähnt ist. Der letzte war Josef Schöfmann, der dort bis zu seinem Tod 2010 lebte und arbeitete. Das Ladengeschäft wurde in den 1930er-Jahren eingerichtet. Anni Schöfmann, die zwei Jahre vor ihrem Bruder gestorben ist, war für den Schuhverkauf zuständig. Beide waren kinderlos, im Jahr 2014 hat die Gemeinde das Gebäude gekauft und dem "Verein für Heimatgeschichte im Zweiseenland Kochel e. V." zur Verfügung gestellt. In den vergangenen vier Jahren haben Vorsitzender Max Leutenbauer und seine Mitstreiter in unzähligen Arbeitsstunden den reichen Fundus an Werkzeugen, Mobiliar und Dokumenten gesichtet, sortiert und vom Staub der Jahrhunderte befreit; Förderanträge gestellt, Sanierungspläne entworfen und ein Nutzungskonzept erarbeitet. Außen darf an dem denkmalgeschützten Gebäude nichts verändert werden, was von den Vereinsmitgliedern im Haus geleistet wurde, davon konnten sich Bürger erstmals am Sonntag beim Tag des offenen Denkmals einen Einblick verschaffen.

Viele Neugierige kamen, um sich am Tag des offenen Denkmals das alte Schusterhaus anzuschauen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Trotz des kühlen Dauerregens haben viele die Gelegenheit zu einem Rundgang genutzt: in die Stube, in der bis 1850 auf einer offenen Feuerstelle gekocht wurde. Über die schmale Holztreppe hinauf in das Obergeschoss, das im Jahr 1782 aufgestockt wurde. "Bei Bedarf Kopf einziehen", sagt Leutenbauer beim Betreten der nur etwa zwei Meter hohen Schlafzimmer, in denen noch die Bettwäsche der Eltern von Josef und Anni aufliegt. Im Originalzustand ist praktisch alles im Haus und so platziert, wie es bis zuletzt benutzt wurde. Eines der Schlafzimmer wurde als Gästezimmer vermietet. Denn als im Jahr 1898 der ebenfalls denkmalgeschützte Bahnhof gebaut wurde, kamen die Touristen. Sogar aus Dortmund und Berlin seien Sommerfrischler angereist, sagt Leutenbauer. Sie mussten in den ersten Jahrzehnten mit einem Plumpsklo im Stall vorlieb nehmen; eine "Abortanlage" wurde im Schusterhaus erst in den 1950er-Jahren eingebaut. Im Flur steht ein echtes Schmuckstück: eine schwere Truhe aus der Zeit um 1500, die der erste Bewohner des Hauses, Andrä Reiser, mitgebracht habe, um wichtige Dokumente und Werkzeuge zu verstauen.

Viel Interessantes kann Hobby-Historiker Leutenbauer erzählen. Auch, dass die Geschichte des Schusterhauses noch nicht abgeschlossen ist: Denn demnächst werde in der Tenne eine Treppe eingebaut, die auf den Tennenboden führt. So soll ein 80 Quadratmeter großer Raum für Wechselausstellungen und Veranstaltungen entstehen. Im ehemaligen Stall ist zudem eine kleiner Ausschank geplant, wo Besucher in der Ortschronik oder den Veröffentlichungen des Vereins schmökern können, die in einer kleinen Bibliothek zusammengestellt werden. Ende 2020 soll das Projekt, das von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz gefördert wird und Zuschüsse der Gemeinde erhält, endgültig abgeschlossen sein. Was der Verein in ehrenamtlicher Arbeit geleistet habe, sei "bemerkenswert", betont Bürgermeister Thomas Holz (CSU). Denkmalauflagen seien "zum Teil sogar übererfüllt" worden. Die Entscheidung der Gemeinde, das ortsprägende Gebäude zu kaufen, sei nicht unumstritten, aber richtig gewesen. "Wir schaffen hier etwa für die Nachwelt, das unbedingt erhalten werden muss."

© SZ vom 09.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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