Was Bad Tölz-Wolfratshausen 2021 bewegt hat:Ein Jahr in der Brandung

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Die Corona-Pandemie hält den Landkreis 2021 fest im Griff, und zwischen Isar und Loisach fallen die Wellen besonders extrem aus: Die Inzidenzen schwanken zwischen 1,6 und 880, die Fallzahlen zwischen neun und 1893. 131 Menschen verlieren ihr Leben

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Sechs Buchstaben, ein Schrecken - und ein Wort, das niemand mehr hören will, das aber dennoch im Jahr 2021 jeden Einzelnen jeden Tag auf die eine oder andere Art betroffen hat: Corona. Um diese Zeit 2020 keimte allenthalben noch die Hoffnung auf, die beginnenden Impfungen würden die Pandemie schnell beenden. Doch diese Hoffnung ist in diesem nun vergehenden Jahr der Ernüchterung gewichen: Erst etwa 60 Prozent der Landkreisbürger haben sich bislang für einen immunisierenden Piks entschieden. Das waren zu wenige, um die Wellen zu brechen. Und das vermeintliche Wiegen in Sicherheit durch zwischenzeitlich geringe Fallzahlen und Inzidenzen führte zusammen mit neuen Varianten zu neuen Ausbrüchen, so dass sich die Zahlen 2021 im Landkreis in viel Hin und Her letztlich in exorbitante Höhen geschraubt haben. Mit der Folge, dass der Landkreis aktuell 157 Tote in Zusammenhang mit einer Corona-Infektion zählt. Zum Jahreswechsel 2020/2021 waren es noch 26 Tote gewesen, also 131 weniger.

Der Sieben-Tage-Inzidenzwert lag zu Beginn des Jahres noch bei knapp über 100. Doch schon zehn Tage später machte er einen ordentlichen Sprung auf mehr als 150 - insbesondere Reiserückkehrer, die in Osteuropa, Brasilien, England und der Schweiz unterwegs waren, hatten sich angesteckt und damit die Fallzahlen zuhause nach oben geschraubt. Lehrer, Schüler und Eltern stöhnten unter dem Distanzunterricht, der nach den Ferien auch für die Grundschulen eingeführt wurde - denn die Videosysteme waren an vielen Stellen überfordert. Zwar rollten die Impfungen nach dem Start am 27. Dezember des Vorjahres im Januar 2021 an, doch wer sich den Piks gerne setzen lassen wollte, hatte es nicht einfach: Die Telefon-Hotline für die Corona-Impfzentren im Kreis war kaum erreichbar - und das Online-Portal hatte Software-Probleme. Wer indes Anfang des Jahres in einer Branche arbeitete, die vom Lockdown betroffen war, sah sich mitunter mit unmoralischen Angeboten konfrontiert. So berichtete etwa eine Friseurmeisterin, dass sie Anfragen erhielt zur Schwarzarbeit in Privatwohnungen.

Anfang Februar wurde erstmals eine Virus-Mutante im Landkreis festgestellt: Ein Landkreisbürger hatte sich mit der britischen Variante infiziert. Trotz Lockdown stiegen die Corona-Fallzahlen im Landkreis, und auch die Pandemie-Sterberate kletterte nach oben. Mitte Februar stufte die Bundesregierung die österreichische Nachbarregion Tirol als "Virusvarianten-Gebiet" ein - mit scharfen Einreisebeschränkungen in der Folge, die den Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen ganz besonders trafen. Denn die Tiroler Enklave Hinterriss hat keinen direkten Weg in die eigene Gemeinde Vomp oder generell nach Österreich, außer über Landkreis-Boden.

Die Inzidenzwerte wurden derweil vor allem durch diverse Corona-Ausbrüche in Seniorenheimen hoch gehalten. Anfang März musste Bad Tölz den Ostermarkt absagen, und Hangsicherungsarbeiten am Rodelweg auf dem Blomberg verschoben sich wegen einem Corona-Fall in der beauftragten Firma. Die Suchtberatungsstellen schlugen derweil Alarm: Der Alkoholkonsum war bei vielen im Lockdown gestiegen, und Getränkehandlungen verkauften bis zu einem Drittel mehr Wein und Bier. Ende März riss der Landkreis eine Inzidenz-Hürde, woraufhin wieder striktere Kontakt-Einschränkungen in Kraft traten.

Anfang April nahm dann die Immunisierung langsam Fahrt auf, nun durften auch Hausärzte ihre Patienten gegen den Corona-Virus impfen. Mitte des Monats legte die Industrie- und Handelskammer (IHK) bemerkenswerte Zahlen vor: Die Unternehmen im Landkreis hatten bis dahin mehr als 14 Millionen Euro an sogenannter Überbrückungshilfe für coronabedingt entgangene Einnahmen bekommen, teilte die IHK für München und Oberbayern mit. Noch im April riss der Landkreis dann abermals die Inzidenz-Marke von 100 es folgten verschärfte Kontaktbeschränkungen. Ende des Monats war die dritte Welle mit voller Wucht angekommen, mit teils um die 50 Neuinfektionen am Tag. Zeitgleich berichtete die Polizei vor allem an den Wochenenden von illegalen Partys.

Im Mai hingegen zeigten sich Infektionen und Inzidenzen im Landkreis rückläufig, Ende des Monats kam es deshalb zu von vielen ersehnten Lockerungen. Beim Shoppen und beim Essengehen brauchte es erstmals seit Langem keine Termine und keine negativen Tests mehr. Die Menschen genossen diese Erleichterungen. Doch Tausende Landkreisbürger warteten zugleich noch immer auf ihre erste Immunisierung gegen Corona, obwohl sie ein erhöhtes Ansteckungsrisiko hatten. Der Grund: Nur für Zweitimpfungen kam genug Vakzin an.

Mitte Juni war der Inzidenzwert im Landkreis auf 3,1 gesunken - ein aus heutiger Sicht geradezu fabulöser Wert. Die Freude darüber währte aber nur kurz. Denn in einer Asylbewerberunterkunft in Wolfratshausen wurde erstmals eine Ansteckung mit der Delta-Variante entdeckt. Mitte Juli hingegen erreichte der Inzidenzwert im Kreis einen historischen Tiefstand mit 1,6, von den 21 Kommunen in Bad Tölz-Wolfratshausen galten 14 als coronafrei und das Gesundheitsamt registrierte lediglich neun Neuinfektionen an einem Tag im gesamten Landkreis. Die Situation wurde durch eine Abschlussfahrt konterkariert: Zwei Abiturienten des Gymnasiums Geretsried hatten sich im privaten Bereich angesteckt und sich dann nichts ahnend zusammen mit ihren Mitschülern in zwei Bussen auf eine Abifahrt nach Kroatien gemacht. Bei einem Schnelltest am Reiseziel wurde die Gruppe dann auf die Infektionen aufmerksam. Die Bilanz: 28 Teilnehmer wurden positiv getestet, acht davon trugen die Delta-Variante in sich. Das trieb sowohl die Fallzahlen als auch die Inzidenzen in die Höhe. Die Pandemie machte sich auch in weiteren Zahlen bemerkbar, etwa beim Müll: Die zentralen Annahmestellen, die Wertstoffhöfe in Quarzbichl, am Entsorgungszentrum in Greiling, in Wolfratshausen und in Geretsried meldeten bis zu 12,5 Prozent mehr Anlieferungen. Noch höher fiel das Plus beim Gewerbemüll und vor allem beim Bauschutt aus. Die Gemeinde Benediktbeuern beschloss deshalb, ein Zwischenlager zu schaffen, damit recyclefähiges Material von Entsorgungsmüll getrennt werden kann. Die Gastro-Branche stand derweil vor einem anderen Problem: Sie durfte zwar wieder öffnen, doch es mangelte an Personal. Köche und Bedienungen hatten inzwischen vielfach die Branche gewechselt.

Anfang August brachte ein Impfbus das Vakzin direkt zu den Menschen - und sollte damit den Fortschritt ein wenig beschleunigen. Doch insgesamt ging es weiter nur zäh voran. Ende des Monats traten die in Bayern neu eingeführten 3-G-Regeln in Kraft: Für zahlreiche Aktivitäten in geschlossenen Räumen galt nun eine Testpflicht. Nur noch hinein kam, wer einen negativen Corona-Nachweis vorzeigte, vollständig geimpft oder genesen oder jünger als sechs Jahre war. Trotzdem breitete sich das Virus zügig aus, der Landkreis riss fortan bei der Inzidenz einen Schwellenwert nach dem nächsten.

Mitte September war jede Kommune wieder von Infektionen betroffen - mit Ausnahme von Schlehdorf. Ende September zählte der Landkreis knapp 60 000 Geimpfte, doch es wurde deutlich, dass auch mit einer Impfung Hygieneregeln wie Abstandhalten und Maskenpflicht nötig blieben. Denn die Kliniken in Bad Tölz und Wolfratshausen meldeten die ersten Impfdurchbrüche. Die Fallzahlen stiegen stetig und Mitte Oktober zeigte sich das Gesundheitsamt völlig überlastet. Weil die Anzahl der Corona-Ansteckungen exponentiell zunahm, blieben bei der Behörde mehr und mehr Fälle liegen, die Dunkelziffer stieg. Die Folge: Wenige Tage darauf hatte der Landkreis eine der höchsten Ansteckungsquoten bundesweit, nur in drei anderen Landkreisen in Deutschland war die Inzidenz höher.

Anfang November erreichten die Infiziertenzahlen wiederholt Höchststände, mit bis zu 1893 akut Betroffenen. Die Inzidenz näherte sich zeitweise fast der Tausendermarke und in dieser Situation wurde klar: Christkindlmärkte und andere Zusammenkünfte dieser Art müssen auch heuer ausfallen.

Im Dezember gingen die Fallzahlen und Inzidenzen zwar langsam etwas zurück, doch eine Entwarnung - das hat das Jahr 2021 gelehrt - kann daraus nicht geschlussfolgert werden. Prompt meldete die Kreisbehörde wenige Tage vor Weihnachten die erste Omikron-Variante bei einem Landkreisbürger. Die Person war aus Südafrika zurückgekehrt und bei der Einreise positiv getestet worden mit der Mutante, die als besonders ansteckend gilt.

© SZ vom 27.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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