Wackersberg:Mit Kara Ben Nemsi fing's an

Lesezeit: 2 min

In den Kramerwirt hat Christian Springer "die Ilse" mitgebracht: Aigner-Darstellerin Angela Ascher. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Christian Springer erzählt vom Orient, Angela Ascher von Ilse Aigner

Von Petra Schneider, Wackersberg

Um 6.30 Uhr ist Christian Springer am Donnerstag in Beirut in den Flieger gestiegen, mittags in München gelandet. Abends steht er auf der Bühne des Kramerwirts und liest aus seinem Büchlein "Landesvater, cool down". Eigentlich kein Buch, sondern ein offener Brief. Geschrieben hat Springer ihn unmittelbar nach einer seiner vielen Nahost-Reisen. Seehofers Aussage, dass Merkels "Wir schaffen das" eine Sogwirkung in den Flüchtlingslagern habe, hat ihn wütend gemacht. Die einzige Sogwirkung, die er bei den Menschen erlebt habe, war, dass sie zurück nach Syrien wollten. In die zerstörte Heimat, um sie wieder aufzubauen.

Sein Brief an Seehofer ist lang geworden, 80 Seiten, er beginnt mit dem Satz: "Was ist, wenn Sie sich irren? Was ist, wenn wir nicht am Ende der Kapazitäten sind?" Es ist ein Aufruf zu mehr Sachlichkeit in der Flüchtlingsdebatte. Gegen das "Genöle und Gezerre", das nicht dazu beitrage, auch nur einen einzigen Schlafplatz für einen Flüchtling zu finden. Gegen das "Jonglieren mit falschen Zahlen" und gegen Übertreibungen, die den rechten Rand bedienen sollen. Springer zitiert etwa den sächsischen Wirtschaftsminister Martin Dulig von der SPD ("Sie sehen, ich stürze mich nicht nur auf die CSU"): "Wenn man eine menschenwürdige Behandlung der Asylbewerber erreichen will, müssen wir die Flüchtlingswelle stoppen." Springer fragt folgerichtig: "Das heißt, Menschen in Aleppo sterben zu lassen ist menschenwürdiger, als sie in Deutschland aufzunehmen?"

Vor vier Jahren hat der Münchner Kabarettist die "Orient-Helfer" gegründet. Ein kleiner Verein mit 25 Mitgliedern, der Einzelfallhilfe leistet. Zurzeit sammelt der 52-Jährige Spenden, damit Kriegsversehrte nötige Behandlungen bezahlt bekommen. Im Moment übernehmen die Vereinten Nationen 75 Prozent, den Rest müssen die Patienten selbst zahlen. Neun Millionen fehlen den UN, damit Menschen nicht mangels Geld sterben müssen. Neun Millionen, eine lächerlich kleine Summe, wenn man bedenkt, dass allein für das Jahr 2014 300 Millionen Euro durch Selbstanzeigen von Steuerbetrügern in die bayerische Staatskasse geflossen sind.

Springer hat Arabisch studiert und war vor dem Krieg mindestens 30 Mal in Syrien. Am Donnerstag spricht er die Syrer, die unter den etwa 70 Zuschauern im Kramerwirt sind, in ihrer Landessprache an. Seine Begeisterung für den Orient hat ihren Ursprung in der Lektüre seines ersten "Buches ohne Bilder": Kara Ben Nemsi von Karl May. Zwei-, dreimal im Monat fliegt er in den Libanon. Nach Arzbach hat er die Ilse Aigner mitgebracht. Nicht die echte, sondern ihr Double vom Nockherberg, Angela Ascher. Sie wechselt sich mit Springer beim Lesen ab und erzählt kurz von der echten Ilse, die zu den Netteren gehöre, "weil sie einen Humor hat".

Die Lesung verläuft locker. Eine Dame fragt, wie Springer die neun Millionen denn zusammenbekommen wolle. Der verweist auf seine "kabarettistische Sturschädeligkeit". Anders als in seinen Kabarettprogrammen verschwindet Springer nicht hinter einer Bühnenfigur. Bei seiner Lesung ist er ganz er selbst. Seine Betroffenheit, seine Erfahrung und sein Appell zur Mitmenschlichkeit - das alles wirkt glaubhaft. Durch die Flüchtlinge würden bayerische Kultur und Identität nicht preisgegeben, sagt er. Nicht durch den Muslim Abdullah Kenan Koraca, der seit Juni 2015 als zweiter Spielleiter die Oberammergauer Passionsspiele leitet. "Genauso wenig werden Eritreer, Somalier und Iraker sich im Baumarkt Äxte besorgen und die Maibäume umhauen."

Helfen sei eine "Menschenpflicht", sagt Springer. Fast alle Länder bekennten sich zur Idee der Genfer Konvention, Verwundeten und Hilfsorganisationen Schutz und Neutralität zu sichern. Auch Syrien. Dort sehe die Realität aber anders aus. Es gebe Gegenden um Damaskus, in die seit Jahren niemand hinein- und aus denen niemand herauskomme. "Die Weltgemeinschaft muss sich auf diese Werte besinnen: Menschen in Kriegsgebieten zu helfen, unabhängig von ihrer Religion." Viel Beifall bekommt Springer, der statt einer Zugabe die noch gute Stimmung im Land beschwört. Diese kippe nicht. "Wenn die AfD 22 Prozent bekommt, dann heißt das, dass 78 Prozent diese Meinung nicht teilen."

© SZ vom 30.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: