Wackersberg:Alles muss klein beginnen

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"Mut hat etwas mit dem Herzen zu tun", sagt Marietta Schürholz. Am Wochenende startet sie ihre Initiative "Mitmacherei im Isartal". (Foto: Manfred Neubauer)

Marietta Schürholz will mit ihrer "Mutmacherei" die Welt ein bisschen besser machen

Von Klaus Schieder, Wackersberg

Eine Mutter muss ihren Sohn jeden Morgen in die Schule zwingen, was ihr selbst zuwider ist, doch fühlt sie sich zu ohnmächtig, um eine andere Einrichtung für ihn zu finden: In manchen Situationen fehlt Menschen die Courage, der Stimme ihres Herzens zu folgen. Mit der Initiative "Mutmacherei im Isartal" will Marietta Schürholz ihnen durch gemeinsames Lernen helfen, die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, ihre Potenziale auszuschöpfen, Sehnsüchten und Visionen zu folgen, Projekte zu gründen und zu vernetzen. Mehr noch: Sie sieht darin den Samen für einen gesellschaftlichen Wandel. "Wenn wir nicht im Kleinen anfangen, neue Möglichkeiten zu schaffen, werden wir es im Großen auch nicht schaffen", sagt sie. Wirtschaft und Politik könnten dies nicht leisten, sie seien zu eng verwoben.

Das alte Bauernhaus mit Blick auf Bäume und Berge liegt in Wackersberg-Steinbach. Am Balkon im ersten Stock hängt ein Transparent mit der Aufschrift "www.mutmacherei.org". Die Wohnung dahinter hat die freie Journalistin, die in Kunstgeschichte promovierte, für ihr Projekt angemietet. Die 52-Jährige selbst, die aus München hergezogen ist, lebt mit ihrem Partner Stefan Ackermann nebenan in der zum Wohnhaus umgebauten Tenne. Früher war Schürholz Kuratorin in der Galerie für Gegenwartskunst in Dachau, viele Jahre war sie Reiseleiterin in Indien. Sie hat für diverse Zeitschriften gearbeitet und bietet seit langem Yoga-Kurse an. Ackermann ist promovierter Philosoph, sein Geld verdient er mit der Zertifizierung sozialer Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten oder Altenheimen. Er hakt dabei nicht Dokumentenlisten ab, sondern auditiert durch Zuhören, Beobachten und Gespräche.

Prüfen - damit ist Schürholz beim Thema. Es müsse da andere Möglichkeiten geben, sagt sie. In der Schule müssten Kinder "immer nur gucken, was will der Lehrer, und ihr Eigenes verleugnen, um durch die Prüfung zu kommen". Das setzt sich für sie in der Berufswelt fort, wo in meist vertikalen Hierarchien der Chef die Ansage mache - "und dann wird das gemacht". Für Schürholz sind es ebenso Rituale der Erziehung, der Höflichkeitskultur, des Umgangs mit Spirituellem, in denen die Gefühle des Einzelnen unterdrückt bleiben. Zum Beispiel auf einer Begräbnisfeier: "Dort sitzen die Leute und tippen in ihre Handys, es interessiert keinen."

Dem will Schürholz die Kraft des bewussten Fühlens entgegensetzen. "Was brauchen wir für die Fähigkeit, zu fühlen, was uns wirklich nottut?" In der Mutmachrei im Isartal bietet sie zum einen Yoga an. Zum anderen eine Gesprächsgruppe, in der "Dialogkultur, nicht Biertischkultur" erlernt werden soll. Darunter versteht sie Techniken, einander zuzuhören und dem anderen auch zu sagen, wenn man ihn nicht verstanden hat. Von Juli an soll es ein sogenanntes Möglichkeiten-Team geben. In dieser Gruppe geht es um Lösungen für konkrete Lebenssituationen: "Ich suche zum Beispiel nach Möglichkeiten, weil meine Mutter den 60. Geburtstag feiert, oder weil meine Mutter ins Pflegeheim kommt." Dann könnten alle aussprechen, was sie intuitiv denken - "die Weisheit der Gruppe dient als Coach". Schürholz bietet daneben individuelle Beratung an. Überdies gibt es unter dem Titel "Werkstatt für genaues Hinsehen" auch eine Kunstgalerie in dem Bauernhaus. Alle Angebote sind kostenlos, Spenden willkommen.

Die Mutmacherei im Isartal wird am Samstag, 25. Juni, 18 Uhr, mit einer Vernissage eröffnet. Zu sehen sind Fotografien von Petra Bauer-Wolfram aus Holzhausen. Die einzelnen Initiativen werden am Sonntag, 26. Juni, von 11.30 Uhr an vorgestellt. Sollten die "Lernräume für Erwachsene", wie Schürholz ihr Projekt nennt, erfolgreich sein, plant sie die Gründung einer gemeinnützigen Organisation. Sie hofft, dass diese mit ähnlichen Initiativen in der ganzen Welt zu einem Wandel hin zu einer reinen Zivilgesellschaft führt. "Wir wollen eine kleine Zelle sein."

Mutmacherei im Isartal, Steinbachbrücke 3, Wackersberg-Steinbach, kontakt@marietta-schuerholz.de, www.mutmacherei.org

© SZ vom 23.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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