Vortrag in Kloster Beuerberg:Besser als jede Schnapspraline

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"Vom heiligen Ernst des Spielens": Jochen Wagner. (Foto: Hartmut Pöstges)

Der Theologe Jochen Wagner über Spiel, Sport und Disziplin

Von Susanne Hauck, Eurasburg

Nicht Gott regiert die Welt, sondern König Fußball, jedenfalls zurzeit. Kann ein Pfarrer zur Weltmeisterschaft etwas Unterhaltsames beisteuern? Ja, er kann - wenn er selber leidenschaftlicher Fußballer ist wie Jochen Wagner, der dazu als bekennender Lamborghini-Fahrer den Reiz der Geschwindigkeit genussvoll auskostet. Wagner ist kein Wald-und-Wiesen-Pfarrer, sondern ein hochkarätiger Theologe und promovierter Studienleiter der Evangelischen Akademie Tutzing. Von dort ist das fränkische Original am Donnerstag ins ehemalige Kloster Beuerberg gekommen, um im Rahmen der Ausstellung "Das Spiel beginnt" herrlich unkonventionell zu fragen, was den Menschen so sehr am Sport fasziniert.

Spiel ist Ausdruck von Lebendigkeit, so könnte das Fazit seines Vortrags "Homo ludens - Vom heiligen Ernst profanen Spielens" lauten. Wagner hat auch Philosophie studiert, und daher fallen viele Begriffe. Zum Glück serviert er sie mit leichter Hand, so dass sie niemanden überfordern. Wie die Gesellschaftstheorie von Georges Bataille, die besagt, dass hochkomplexe Gesellschaften Spiel und Schau als Ventil der Ablenkung brauchen, damit die überschüssige Energie nicht im Krieg abgefackelt wird. Wagner selbst, Jahrgang 1957, hat den Sport als befreit von Klassen- oder Religionsschranken erlebt: in Nürnberg, wo er in einer Kleinbürgersiedlung aufgewachsen ist, waren die Buben täglich von zwei bis sieben Uhr auf dem Fußballplatz, es zählte weder Hautfarbe noch Herkunft. Sport kann also Gemeinschaft sein. Teams funktionieren, weil "keiner alles kann, niemand nichts kann". Und im hingebungsvollen Spiel spürt sich der Mensch am intensivsten. Bestes Beispiel ist vielleicht der Testfahrer von Lamborghini, der Schuhe mit ganz dünnen Ledersohlen trägt, um die Kraft des Motors besser zu fühlen.

Wagner fragt auch nach Schattenseiten, wie den überhöhten Anforderungen im Sport. Wie es sein kann, dass Athleten wie Maria Riesch, die um zwei Zehntelsekunden die Medaille verpassen, von völlig unsportlichen Menschen unter Beschuss genommen werden: "Maria, wie konnte das passieren?" Der "Mythos Topform" bringt Wagner auf die eigene Disziplinlosigkeit, er erzählt in schönstem Fränkisch, wie er sich nach einem Tag des Kasteiens "nachts noch Löffel voll Nutella neihau', was zusammen mit einem Maul voll Grappa besser ist als jede Schnapspraline".

Die Macht des Spielens - ob Fußball, Musikinstrument oder die Liebe - liegt nach Wagner im Spielen selbst, weil es eine intuitive Handlung ist, die kein Ziel haben muss. Und was zweckfrei Vergnügen schafft, befriedigt die inneren Bedürfnisse und fördert die Lebenslust. Das Sinnesglück hat Wagner selbst erlebt, nicht nur beim Fußball und E-Gitarre-Spielen zu Rory Gallagher aus dem Plattenspieler, auch am Spiel mit der Liebe hat er laboriert und erkannt: Wer nicht kriegt, was er will, muss wollen, was er kriegt.

Schade nur, dass sich nur so wenige Zuhörer in Wagners augenzwinkernd präsentierte Gedankenwelt zu Sport und Spiel entführen lassen wollen. Ist am Ende die Uhrzeit, 18 Uhr an einem Donnerstagabend, zu früh gewählt oder das Thema zu intellektuell? Wagners Vortrag hat aber das Potenzial zu einem echten Erweckungserlebnis, wie sich am Einzelbeispiel festmachen ließ. Ein Mann, der von seiner Frau zu dem Besuch überredet worden ist, zeigt sich so begeistert, dass er nach rund 100 Minuten Vortrag zu Wagner vorstürmt, den Überraschten herzlich drückt und ausruft: "Sie schickt der Himmel!"

© SZ vom 26.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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