Vorlesewettbewerb Bad Tölz:Vergnüglich abtauchen

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Souveräner Allesleser: Fidel Schwichtenberg hat den Kreisentscheid beim Vorlesewettbewerb 2019 gewonnen. (Foto: Manfred_Neubauer)

Kinder zeigen, dass Bücher es noch immer mit dem Handy aufnehmen können.

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Mucksmäuschenstill ist es am Montagnachmittag in der Tölzer Stadtbibliothek. Kinder, Eltern mit jüngeren Geschwistern - alle warten auf den Vorlesewettbewerb. 15 Uhr, es geht los. Startnummer eins geht ans Lesepult, Johannes. Er nimmt noch schnell einen Schluck aus dem Wasserglas, erklärt kurz den Plot und liest los. Eigentlich ist er krank und sollte ins Bett. Aber weil er von seiner Schule als bester Vorleser ausgewählt wurde, wollte er unbedingt mitmachen. Sieben Buben und sechs Mädchen nehmen heuer am Kreisentscheid des 60. Vorlesewettbewerbs teil. Sie sind elf, zwölf Jahre alt und besuchen die sechste Jahrgangsstufe von Mittel-, Realschule oder Gymnasium. Für alle Teilnehmer gibt es Applaus, ein Buch und eine Urkunde, der Sieger darf zum Bezirksentscheid und schafft es vielleicht ins Bundesfinale am 26. Juni in Berlin.

In der Jury sitzen am Montag Doris Zimmermann, Lehrerin am Gabriel-von-Seidl-Gymnasium, die Buchhändler Annika Fitze und Hubert Schöffmann, Vorjahressiegerin Sara Kohlmann und der Schauspieler Markus Eberhard. Büchereimitarbeiterin Patricia Ilg erklärt den Ablauf: Drei Minuten ein selbst ausgesuchter Text, nach der Pause die zweite Runde mit zwei Minuten aus einem unbekannten Text. "Keine Panik, wenn einer sich mal verliest", sagt Ilg. Das fließe nicht in die Bewertung ein.

In der ersten Rund gibt es so gut wie keine Verleser. Die Kinder haben sich gut vorbereitet, lesen flüssig und wirken nicht sonderlich nervös. Manche unterstützen den Text mit Gesten, variieren den Tonfall der Figuren und scheinen das Publikum fast zu vergessen. So wie Tim, der ganz in seine Geschichte "Supercool" eintaucht und an manchen Stellen vor Vergnügen gluckst.

In den Büchern, die sich die Kinder ausgesucht haben, spielen Großeltern oft eine Rolle, auch Krimis sind dabei oder Storys mit coolen, witzigen Protagonisten. Die Eltern in den Geschichten heißen "Mum und Dad", die Handlungen sind oft schräg wie bei "Zombie-Zahnarzt", die Sprache flott.

Die erste Runde ist geschafft, in der Pause erzählt Peter, dass er am liebsten ein Buch auf Bairisch vorgelesen hätte. "Aber des derf ma ned beim Wettbewerb", sagt der Zwölfjährige, der die Mittelschule Dietramszell besucht. Auch Comicromane sind tabu. Peter hat sich für "Opa und die Nutscheider Schummelgeschichte" entschieden. Warum? "Weil i gern so einen Opa hätt", sagt er. Er mag lustige Bücher, und wenn ihn eines gepackt hat, "dann derfs ruhig a bissl dicker sei." Auch Katharina, die auf die Realschule Hohenburg geht, liest gern witzige Bücher. Für den Wettbewerb hat sie sich dann aber für "Fünf Dinge, die dir niemand verrät" entschieden.

Es geht um eine Trennung, Mum und Dad wollen sich scheiden lassen, die Protagonistin muss sich zwischen den beiden entscheiden. Keine leichte Kost für eine Elfjährige. Wenn sich die Eltern scheiden lassen, das sei schon traurig, sagt sie. Aber Katharina mag Bücher, die so sind, wie es im wirklichen Leben eben ist.

Buchhändlerin Annika Fitze sieht bei ihren jungen Kunden eher den Trend zu "Fantasy oder Büchern mit Vampiren". Auch der Comicroman "Gregs Tagebuch" sei ein Renner. Ihrer Beobachtung nach lesen Buben in diesem Alter weniger als Mädchen. "Mädchen mögen auch Bücher mit männlichen Protagonisten, aber umgekehrt nicht", sagt sie. Die Lust am Lesen zu wecken und Lesekompetenzen zu stärken, ist das Ziel des Vorlesewettbewerbs. An den regionalen Entscheiden beteiligen sich bundesweit rund 7000 Schülerinnen und Schüler der sechsten Klassen. Mit rund 600 000 Teilnehmern ist der im Jahr 1959 ins Leben gerufene Wettbewerb des Deutschen Buchhandels der größte Schülerwettbewerb Deutschlands.

Nach zweieinhalb Stunden fällt in Tölz die Entscheidung: Bester Vorleser im Landkreis ist heuer Fidel Schwichtenberg vom Tölzer Gymnasium. Er hat einen Auszug aus Erich Kästners "Die Konferenz der Tiere" vorgelesen - beeindruckend souverän und lebendig. Auch der unbekannte Text aus der Neuerscheinung "Das Museum der sprechenden Tiere" klingt bei ihm so flüssig, als hätte er ihn auswendig gelernt. "Ich bin eine Allesleser" verrät der Zwölfjährige. Zeit zum Lesen hat er - Fidel besitzt kein Handy, keinen PC, auch einen Fernseher gibt es nicht in seiner Familie. "Ich finde das in Ordnung", sagt er. Aber was ist mit Referat-Recherchen im Internet oder Klassen-Chat? "Das Wichtigste kriege ich auch so mit", sagt er. Und für Referate gebe es ja Bücher.

© SZ vom 13.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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