"Vertical Orchestra":Beim Trommeln hebt Michael Kramer ab

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So viele Schlaginstrumente kann Michael Kramer natürlich nicht mit in die Luft nehmen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Der 49-Jährige betreibt beruflich den Campingplatz am Badweiher in Wolfratshausen. In seiner Freizeit schwebt er als Drummer in atemberaubender Höhe

Von Veronika Ellecosta, Wolfratshausen

Drei kleine Punkte schweben über dem Fußball- EM-Stadion in Rom - es sind die fliegenden Trommler. (Foto: Privat/OH)

Michael Kramer hat schon in saudi-arabischer Luft getrommelt, in italienischer und in türkischer. Schwebend an Drahtseilen, 40 Meter über festem Boden, die Trommel um den Bauch geschnallt. Und dies ist schon das zweite abenteuerliche Hobby, dem der Betreiber des Wolfratshauser Campingplatzes am Badweiher nachgeht. Früher trat er nebenbei als Feuerspucker auf. Heute trommelt er in atemberaubender Höhe mit dem Vertical Orchestra.

Kramer, 49, braunes ärmelloses T-Shirt und bunte Perlenketten, trägt sein dunkles Haar am Oberkopf verknotet. Er sitzt vor dem Lokal am Campingplatz auf einem Holzstuhl, vor sich hat er ein Glas Wasser und seinen Tabakbeutel. Es ist sein Campingplatz, er betreibt ihn seit 1997. Dies ist seine Einkommensquelle, und Kramer ist froh drum: Wenn seine außergewöhnlichen Hobbys dazu dienen müssten, seine Existenz zu sichern, würden sie zur Arbeit, sagt er. Und dann würde der Druck steigen. Lust und Muße könnten ihm dann womöglich abhandenkommen.

Wie Kramer zu seinen Hobbys kam, hat ein bisschen mit jugendlicher Begeisterung zu tun und mit eben jener Lust an der Sache, die nicht der Existenzsicherung dienen muss. Er fing mit Feuerspucken an, weil ihn das Feuer seit jeher fasziniert. Als Zivildienstleistender in einer Jugendherberge habe er einem feuerspeienden Gruppenleiter so lange zugeredet, bis der ihm die Grundlagen dazu beigebracht habe, erinnert er sich lachend. Lange habe der sich nämlich geweigert, weil Feuerspucken ja doch recht gefährlich sei. Aber Kramer war dann einfach hartnäckiger.

Bald begann er mit eigenen kleinen Shows. Die Premiere sei ordentlich danebengegangen: Kramers Bart stand in Flammen. "Ich habe gut reagiert und mir die Hand auf den Mund gepresst und das Feuer gelöscht. Dann hab ich die Show zu Ende gespielt und bin ins Krankenhaus gefahren", erzählt er. Die Verbrennungen seien schwer gewesen, aber alles sei gut verheilt. Und so machte er einfach weiter.

Zusammen mit zwei Freunden gründete Kramer eine Firma mit Feuershows mit dem Namen Pyrostyx und sie lernten, das Feuer zu beherrschen. Denn grundsätzlich schwierig sei das Feuerspucken nicht, sagt Kramer: Man müsse üben, den Schluckreiz zu kontrollieren und das Petroleum im Mund zu behalten. Auf der Bühne müsse man die Gefahren kennen, den Wind und das Wetter und die Löschmöglichkeiten beherrschen. Aber Respekt dürfe man nicht mit Angst verwechseln, findet er.

Als er mit seinen Freunden anfing, seien Feuerspucker eine Seltenheit gewesen. "Mittlerweile staunt keiner mehr." Schließlich hätten sie damit aufgehört, auch weil die Langzeitschäden nicht in Relation zum Gewinn aus einem Auftritt stünden. "Es ist einfach Gift, und wir haben gesagt, wir lassen das bleiben." Er selbst verließ die Firma dann ganz.

Nebenbei hatte Kramer schon sein zweites, außergewöhnliches Hobby begonnen. Über zwei Artistinnen war er zur Münchner Eventagentur Team Extreme gekommen, die auf der Suche nach Trommlern war. Die Performance der Musiker sollte aber an Stahlseilen stattfinden, in 40 Meter Höhe über der Bühne. In Frankfurt ging es 2006 bei der Internationalen Automobilausstellung los. Es war die weltweite Premiere der fliegenden Trommler.

Seitdem ist Kramer schon an vielen internationalen Orten auf und ab durch die Luft geflogen und hat selbstgeschriebene Choreografien gespielt. An die Höhe und das schnelle Rauf und Runter gewöhne man sich, sagt er. Oft befänden sich die Artisten im freien Fall, wenn sie über der Bühne baumeln, da müsse man natürlich auch die Körperspannung halten. Mitbringen sollte man auf alle Fälle auch Schwindelfreiheit und Vertrauen in Technik und Sicherung.

In Mainz sei das Vertical Orchestra einmal an einem Kran aufgehängt gewesen. Es sei ein windiger Abend gewesen und die Eigendynamik in der luftigen Höhe selbst für erfahrene Artisten wie ihn ungewohnt. Deshalb seien die Proben in den Tagen vor dem Auftritt wichtig, sagt Kramer, damit man sich einfühlen kann. "Wenn die Fahrt losgeht, darf man nicht mehr nachdenken."

Selbstregulierung und mentale Stärke sind wohl wichtig für derlei Hobbys. "Es ist wahrscheinlich wie beim Extremsport eine Sache des Kicks", sagt Kramer. "Dass man nicht zu 100 Prozent sicher ist, muss man zu 100 Prozent verdrängen. Man muss vertrauen."

© SZ vom 07.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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