Unzählige Geretsrieder haben bei ihr gelernt:Immer im Takt

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Ingeborg Heinrichsen ist Tänzerin und Tanzlehrerin aus Leidenschaft. Der Münchner Vereins für Volkslied und Volksmusik bringt ihre gesammelten Choreografien als "Schatz" auf drei verschiedenen Medien heraus

Von Sabine Näher, Geretsried

Was soll man sich unter einem "Tanz-Schatz" vorstellen? Man könnte da auf eine völlig falsche Fährte geraten, doch Carmen E. Kühnl, Vorsitzende des Münchner Vereins für Volkslied und Volksmusik, kann es erklären: "Ingeborg Heinrichsen hat eine ganze Reihe grundlegender Choreografien zur Volksmusik entwickelt. Wir möchten diese wertvollen Materialen aufarbeiten, um sie für die Nachwelt zu erhalten." Auch wenn es niemand glauben möchte, der die Lehrerin und Tänzerin bei ihrem nach wie vor ungemein vitalen Tun beobachtet: Heinrichsen ist am 26. Januar 1936 in Guben (Niederlausitz) geboren; sie feiert also bald ihren 82. Geburtstag. Da darf man durchaus darüber nachdenken, wie man die Früchte ihrer jahrzehntelangen Arbeit konservieren kann. Kühnls Verein plant dazu eine trimediale Veröffentlichung: die Herausgabe der mehr als 40 Choreografien in Buchform, als PDF zum Herunterladen aus dem Internet, eine "akustische Komponente", für die die Musik zu den Tänzen auf CD eingespielt wird, sowie eine "didaktische Ergänzung", die die Arbeitsweise der Tanzlehrerin im Film festhält. Diese Filme sollen auf YouTube abrufbar sein, damit die Jugend als wichtige Zielgruppe ebenfalls erreicht werden kann.

Dass der Münchner Verein diese Herkulesaufgabe nicht alleine stemmen kann, leuchtet ein. Zu Kühnls und Heinrichsens Freude hat sich die Stadt Geretsried bereit erklärt, einen Zuschuss zu gewähren. Schließlich ist die leidenschaftliche Tänzerin für ihre Arbeit 2015 mit dem Kulturpreis der Stadt, der einen Ehrenplatz in der Stube bekommen hat, ausgezeichnet worden.

Aufgewachsen im Bezirk Frankfurt/Oder kam die Tochter einer in Nizza geborenen Französin, die ihrerseits italienische Eltern hatte, über "viele Umwege, die eine eigene Geschichte wert wären", im Februar 1945 über das brennende Dresden in das ebenfalls zerstörte München. Dort knüpften französische Bekannte den Kontakt nach Münsing, wo sich die Mutter mit den Kindern und dem italienischen Großvater niederließ, während der Vater in Kriegsgefangenschaft war. Ingeborg ging in Starnberg zur Schule. "Wir waren immer 'die Flüchtlinge'", erinnert sie sich. Dass sie täglich mit dem Schiff zur Schule fuhr, kam ihr überhaupt nicht ungewöhnlich vor. Als der Vater zurückkehrt, zieht die Familie nach Wolfratshausen. Was heute kurios anmutet: Der Schulweg nach Starnberg wurde zu strapaziös, so dass Ingeborg die letzten Schuljahre in München absolvierte, denn dorthin fuhr der Zug.

Ingeborg Heinrichsen als Tänzerin mit ihrem Mann Rudolf. (Foto: Privat)

Danach studierte sie an der Pädagogischen Hochschule in Pasing und wurde Lehrerin. Von 1970 bis 2000 wirkte sie an der Grundschule am Isardamm in Geretsried. "Ich habe immer schon gerne mit den Kindern getanzt", erzählt sie. Und als sie feststellte, dass es unzählige Choreografien für Erwachsene gibt, aber keine für Kinder, erdachte sie selbst welche.

Bald arbeitete Heinrichsen nicht nur mit kleinen, sondern auch mit großen Tänzern. Ihr Ruf als Pädagogin verbreitete sich landesweit und darüber hinaus. "Ich kann die Abläufe einfach gut erklären. Gerade die Männer, die manchmal begriffsstutziger sind, haben bei mir immer alles verstanden", erklärt sie.

Noch zu Studienzeiten hatte sie ein Kollege in Kontakt zu Wastl Fanderl gebracht, dem damaligen Ersten Bezirksvolksmusikpfleger in Oberbayern, der ihre Begeisterung für Volkslied und -musik weckte. "Von da an war ich mit dem Virus infiziert", sagt Heinrichsen. "Seither habe ich immer getanzt. Und immer als Tanzlehrerin gearbeitet." Dabei ging es ihr primär gar nicht um das Tanzen. "Die Musik, die Volksmusik, lag mir immer am Herzen. Sie hat mich zum Tanzen gebracht - als meinen Weg, die Musik auszudrücken."

Heute vor ihren Erinnerungen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Und der Lehrerin mit Leib und Seele war der soziale Aspekt natürlich ebenfalls wichtig: "Es geht mir immer um die nette, tänzerische Gemeinschaft", erklärt sie. Zu ihren Samstagskursen in den Geretsrieder Ratsstuben kommen denn auch schon mal 80 tanzlustige Paare. Nur die Jugend macht sich rar. Und das bekümmert Heinrichsen. "Das muss unser großes Ziel sein: den Nachwuchs anzusprechen", betont sie.

Ebendies hofft Carmen E. Kühnl mit der Edition des "Tanz-Schatzes" erreichen zu können. Doch sie sieht die Dinge realistisch: "Es ist nicht leicht, die Jugend für den Volkstanz zu begeistern." Da bleibt nur Daumendrücken, dass die Vision Wirklichkeit werden kann. Oder das Projekt vielleicht selbst zu unterstützen. Sponsoren sind weiterhin gesucht. Und ein paar junge Tänzer für die Verfilmung, die sich als Lohn für ihren Einsatz dann auf Youtube bewundern könnten.

© SZ vom 16.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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