Ungewöhnlicher Wettkampf:Präzision in luftiger Höhe

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Schwindelfrei, schnell und genau müssen die Teilnehmer beim Wettbewerb im Tölzer ZSA sein. (Foto: N/A)

Der "Petzl Ropetrip 2020" ist der Vorentscheid zur inoffiziellen WM der Industriekletterer. Im Tölzer Bergwacht-Zentrum treten Seilzugangstechniker aus Deutschland und Österreich in Teams gegeneinander an

Von Veronika Ellecosta, Bad Tölz

Teamgeist, Präzision und Schnelligkeit in luftiger Höhe: Am Wochenende hat der "Petzl Ropetrip 2020" im Zentrum für Sicherheit und Ausbildung der Bergwacht Bayern in Bad Tölz (ZSA) stattgefunden. Zehn Industriekletterteams aus ganz Deutschland haben sich in verschiedenen Parcours miteinander gemessen. Das Siegerteam, die "Rope Shepherds 2" aus Brandenburg, fährt im April zur inoffiziellen Weltmeisterschaft nach Singapur.

Im Tölzer Zentrum für Sicherheit und Ausbildung der Bergwacht finden gewöhnlicherweise Trainings für Bergretter statt: Die Halle verfügt über Stand- und Flugsimulatoren sowie Simulationsanlagen für Seilbahnen, an denen die Profis Rettungseinsätze üben können. Am Samstag aber erlebt das ZSA eine andere Nutzung der wettkampforientierten Art. Karabiner klackern laut durch die Halle. An ihnen hängen Männer und wenige Frauen in Arbeitshosen und neonfarbenen Helmen. Sie sind doppelt gesichert und werden akustisch begleitet von Anfeuerungs-Zurufen. Überwacht wird die Szenerie von zahlreichen Schiedsrichtern, ebenfalls in Helmen und Leuchtwesten. Dazwischen Familien und Angehörige, auch ein Wolfshund im Fantrikot. Die diesjährigen "Petzl Ropetrip Series Germany" finden in Bad Tölz statt. Gerne wird der Wettbewerb auch als inoffizieller deutscher Vorentscheid für die - ebenfalls inoffizielle - Weltmeisterschaft der Industriekletterer bezeichnet. Zehn Teams mit je drei Mitgliedern, alle Seilzugangstechniker, bestreiten den ganzen Tag lang drei Aufgaben in Einzelwertung, sowie eine Teamchallenge am Ende. Erfasst werden Präzision, Fehler und Zeit in einem Punktesystem. Als Sieger geht am Ende des Tages Team "Rope Shepherds 2" hervor.

In den Einzelwertungen gilt es etwa, eine Schrägseilbahn inklusive Knoten zu übersteigen. Oder sich gesichert durch ein Seillabyrinth zu arbeiten und dabei zwei Roherteile zusammenzuschrauben, ohne dabei den Boden zu berühren. Für jede hinabfallende Schraube gibt es Abzüge. Diese Station soll einen Schacht in 60 Meter Tiefe simulieren. Ausgedacht hat sich die kniffligen Aufgaben das Organisationsteam von Petzl Deutschland. Man habe versucht, die Aufgaben aus der Arbeitswelt von Industriekletterern authentisch zu simulieren, heißt es von der Organisatorenseite. Petzl Deutschland ist eine Niederlassung des französischen Herstellers für Bergsportausrüstung, Stirnlampen und Techniken für Seilzugangstechniker. Und um diese Berufsgruppe dreht sich diese Veranstaltung. Die Teilnehmer an den "Petzl Ropetrips" sind nämlich Höhenarbeiter, die an schwer zugänglichen und oft exponierten Standorten für Reparaturen und technische Arbeiten oder Reinigungen zuständig sind. Einsatzort sind demnach oft Funkmasten, Plakatwände, aber auch Hochhäuser und Windräder.

Früher wurden für derartige Aufgaben noch Kletterer eingesetzt, weil sie günstiger als Gerüste und Kräne waren und manche Stellen für technische Geräte schier unerreichbar waren. Später kamen versicherungstechnische Fragen auf, erklärt Christoph Driever, Country Manager von Petzl Deutschland. So entstand vor 25 Jahren der Berufsfachverband der Seilzugangstechniker, Unternehmen entwickelten zunehmend spezielle Sicherungstechniken, die über herkömmliche Klettersicherungen hinaus gingen und dem Bedarf der Industriekletterer gerecht wurden. Mittlerweile ist Seilzugangstechniker ein anerkannter Ausbildungsberuf. Die Wettbewerbe, die Petzl seit 2012 veranstaltet, dienen als Vernetzungstreffen. Das Unternehmen nutzt die Veranstaltungen aber auch, um Feedback zu neuen Sicherungsprodukten von den Teilnehmern zu erhalten.

Was ursprünglich als unverbindliches Kleinevent ohne Vorqualifikation begann, hat sich mittlerweile zu nationalen Vorentscheiden wie jenem in Bad Tölz entwickelt. Die zehn Teams aus Berlin, Hamburg, München, Düsseldorf und Österreich kämpfen um die Teilnahme bei der inoffiziellen Weltmeisterschaft der Industriekletterer. Diese wird im April in Singapur ausgetragen, 42 Teams aus aller Welt werden dort vertreten sein, davon 14 aus nationalen Vorentscheiden, der Rest aus eine Auswahl aus Bewerbungen.

Als professionelle Sportart sieht Driever das Industrieklettern dennoch nicht: Es gibt keine Sportverbände, die Seilzugangstechniker üben lediglich ihren Beruf aus. Und dennoch: "Die Seilzugangstechniker sind seriös, aber Klettern ist bei vielen eine Leidenschaft. Ihr Beruf ist ihr Hobby, und für solche Wettbewerbe bereiten sich manche Teams oft monatelang vor", erklärt Driever. Trotzdem können sich die Industriekletterer nur beschränkt auf die einzelnen Stationen vorbereiten: In die Parcours werden die Industriekletterer erst am Morgen des Wettkampfes von Petzl-Mitarbeitern eingewiesen. So müssen sie direkt am Seil spontane Lösungen finden, um die Challenges zu überwinden und ihre Kreativität unter Beweis stellen.

Unter den strengen Blicken der Schiedsrichter hangeln sie sich Seile hinauf, heben Wassereimer auf Seilbahnen und laufen am Ende zum roten Druckknopf neben dem Parcoursgelände, um den Timer zu stoppen. Unter den Zuschauern steht Peter Gruber und schaut aufmerksam zu einem Kollegen, der im Seillabyrinth hängt und sich weiterhangelt. An den Schlaufen von Grubers Gurtes baumeln klappernd Karabiner und Sicherungsgeräte. Der Seilzugangstechniker ist mit seinem Team, den "Aubinger Seilbuam" aus München angereist. Das Team ist zum ersten Mal bei den Petzl Ropetrip Series Germany vertreten, und ohne besondere Ambitionen an den Start gegangen. Gruber ist guter Laune. Interessant seien für ihn und sein Team der Austausch mit den anderen, der "Spaß an der Freude" und, dass sie voneinander so viel lernen könnten. "Es geht uns um den Erfahrungsaustausch", sagt er. "Am Ende hängen wir ja alle am gleichen Seil."

© SZ vom 27.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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