Willkommen im Isartal:Ein vielfaches "Dankeschön" unter Tränen

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Zweite Bürgermeisterin Claudia Roederstein begrüßt die ukrainischen Flüchtlinge in Icking. (Foto: Hartmut Pöstges)

In Icking sind 34 Ukrainerinnen und Ukrainer angekommen. Die Gemeinde hat ein erstes Treffen von Geflohenen und Helfern organisiert. Viele Flüchtlinge wollen sich aktiv einbringen.

Von Susanne Hauck , Icking

Auch in Icking ist die Hilfsbereitschaft groß. "Wir halten zusammen", spricht Claudia Roederstein (Ubi) den Kriegsflüchtlingen Mut zu. Die Zweite Bürgermeisterin, Koordinatorin der Unterstützungsangebote, hat zum ersten Treffen von Ukrainern und Ickinger Helfern eingeladen. Von den mehr als 60 Menschen, die am Freitag vor ihr auf dem Sportplatz stehen, sind etwa die Hälfte Geflohene: vor allem junge Frauen, Mütter mit Kindern, ein paar Rentner. Einige sind sichtlich psychisch am Ende. Und bei Roedersteins mitfühlenden Worten laufen vielen die Tränen übers Gesicht. "Dankeschön, dankeschön", flüstern einige der Frauen immer wieder auf Deutsch.

Nataliya Axtner ist als Übersetzerin da, als gebürtige Ukrainerin hilft sie auch, die im Landkreis ankommenden Busse mit Flüchtlingen zu empfangen. Sie lebt seit 15 Jahren in Icking. Neben ihr steht ein stiller Mann, ihr Vater, der eine dramatische Flucht hinter sich hat. "Wir mussten ihn überreden wegzugehen", erzählt die Steuerberaterin. Gerade die älteren Ukrainer ohne Englisch- oder Deutschkenntnisse seien sich immer noch sehr unsicher, ob sie sich auf das Ungewisse in der Fremde einlassen oder im Keller ausharren sollen. "Im Gegensatz zu anderen aber hatte mein Vater wenigstens ein Ziel", sagt Axtner. Unter ständigem Beschuss habe sich der 70-Jährige zum Bahnhof durchgeschlagen. Vier Tage lang hätten sie in größter Sorge gelebt, weil der Kontakt abgerissen sei, dann habe ihr Vater erschöpft, aber heil und gesund plötzlich vor ihrer Tür gestanden. Seine Nachbarn aus dem Kiewer Mietshaus sind hingegen nicht mehr am Leben. Die fünfköpfige Familie riskierte den Fluchtkorridor, der zu tödlichen Falle wurde. "Er muss das alles erst verarbeiten", sagt Axtner.

Dreharbeiten und Fußballspiel

Es ist ein friedlicher Freitagnachmittag. Am Sportheim wird gerade eine neue Episode von "Hubert ohne Staller" gedreht, die Kinder spielen miteinander Fußball, die Erwachsenen kommen in Grüppchen in der warmen Frühlingssonne zusammen. Für die Geflüchteten ist das Miteinander ein sichtlicher Trost, ein Stückchen Normalität in einer Welt, die völlig aus den Fugen geraten ist. Alle haben Schreckliches erlebt, alles zurückgelassen. Wie Tymur Iwanov und seine Frau Svetlana mit ihren beiden acht- und zehnjährigen Kindern. Auf Englisch berichtet der 39-Jährige von "big bombs", kaum auszuhaltenden Detonationen. Als die Front näher und näher rückte, packten sie in Panik ein paar Sachen zusammen und schlugen sich mit dem Auto bis zur Grenze durch. In Icking wohnen sie über die Vermittlung der evangelischen Kirche bei Irene von Manstein.

Iwanov ist einer der wenigen erwachsenen Männer, er ist wegen Krankheit ausgemustert. Zu Hause leitete er eine Online-Schule, die er versucht aufrechtzuerhalten. Er lebte bei Kiew, stammt aber aus Mariupol, der am heftigsten umkämpften Stadt. Dort befinden sich noch Bruder und Schwester, "aber sie sind in Sicherheit", weiß Iwanov. In großer Angst leben sie jedoch um die Eltern, von denen sie seit Tagen nichts mehr gehört haben, die Handys sind tot. Iwanov ist es ein großes Bedürfnis, sich im Namen seiner Landsleute zu bedanken, er ergreift nach Roedersteins Ansprache das Wort. Lange Zeit habe in der Ukraine wegen der Vergangenheit eine zwiespältiges Bild von den Deutschen geherrscht, sagt er. Nun gehe ihnen das Herz über vor Dankbarkeit. "Wir sind zutiefst beeindruckt von der Hilfsbereitschaft."

34 Ukrainer sind bislang offiziell registriert, berichtet Roederstein. Sie schätzt die tatsächliche Zahl aber weit höher ein, weil etliche noch nicht den Meldevorgang durchlaufen hätten. Sie erwartet außerdem Zuweisungen vom Landratsamt. Nun sollen die Deutschkurse organisiert werden. Dazu haben sich bereits sieben ehrenamtliche Lehrerinnen gemeldet. Einige Kinder dürfen schon in die Schule gehen. Eine Teestube zum Kennenlernen unter der Leitung von Gisela Steinbach findet ab sofort immer Dienstagnachmittag im evangelischen Gemeindehaus statt. Viele Ickinger haben Ukrainer bei sich aufgenommen. Die Gemeinde selbst hat ein paar leer stehende Gebäude und Wohnungen ins Auge gefasst, die sich als Notquartier eignen könnten, die ersten Möbel dafür hat die Bevölkerung bereits gespendet. Roederstein hofft auf schnelle Hilfe von den Behörden, wenn es um die Unterkünfte und die Integration in Schulen und Kindergärten geht. "Die bürokratischen Hürden müssen fallen", fordert sie.

Auch Christoph und Susanne Kessler aus dem Ortsteil Dorfen haben in ihrem Haus Platz gemacht, sogar einen weiteren Fernsehanschluss verlegen lassen. Im Gästezimmer mit eigener Küche lebt seit drei Tagen die 20-jährige Jane, sie ist die Nichte von Tymur Iwanov. "Wir haben im Fernsehen die schrecklichen Bilder gesehen und uns sofort beim Landratsamt gemeldet", erzählt Christoph Kessler. Ein paar Tage später sei nachmittags um drei der Anruf gekommen, "und um sechs Uhr war sie da, völlig übermüdet". Dass die junge Frau Englisch spreche, mache das Zusammenleben einfach. Im Supermarkt und im Kleidermarkt des Roten Kreuzes in Geretsried hätten sie zusammen das Notwendigste an Essen und Kleidung besorgt, und auch ein Wiedersehen bei Kaffee und Kuchen mit den Iwanovs habe es schon gegeben. Jane studiert in Kiew Journalismus, was zurzeit trotz der Angriffe noch online möglich ist.

Eine, die tut, was sie kann, um ihren Beitrag zur Integration zu leisten, ist Oksana Semenova, auch sie stammt aus der Nähe von Kiew. Sie ist am Tag nach Kriegsbeginn geflohen und am 6. März in Icking angekommen. "Die Kinder hatten wegen der Bomben so schreckliche Angst", berichtet die 44-Jährige in ausgezeichnetem Deutsch. Dass sie trotz der Eile noch das ukrainische Volksinstrument, die Bandura, mitgenommen haben, darüber muss sie fast lachen. Ihr Mann habe sie bis zur slowakischen Grenze gefahren, dann mussten sie sich verabschieden. Nun transportiert er Medikamente zu Militärstützpunkten. "Wir haben zum Glück Kontakt", sagt sie erleichtert. Die zehnjährige Tochter geht bereits in die Ickinger Grundschule, der 16-jährige Sohn als Gastschüler ins Gymnasium, er spricht etwas Deutsch.

Semenova kann im Ickinger Elternhaus einer im Allgäu lebenden Freundin wohnen. Dort sind nun auch ihre Eltern und ihre Freundin Xenia mit Kindern untergekommen. Oksana Semenova ist ausgebildete Luft- und Raumfahrtingenieurin, hat dann aber noch Deutsch studiert und wegen ihrer großen Kinderliebe an einer Grundschule gearbeitet. Nun will die patente Ukrainerin möglichst schnell Deutschkurse unterrichten und ihren Landsleuten dabei helfen, in Deutschland richtig anzukommen.

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