Tradition für Frühaufsteher:Sieben Schritte vor, sieben zurück

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Beim Tölzer Kocherlball bleibt die Tanzfläche nicht lange leer - trotz früher Stunde am Sonntagmorgen.

Von Konstantin Kaip, Bad Tölz

Um kurz nach sieben am Sonntagmorgen liegt noch fast ganz Bad Tölz im Schlaf. Nur der Kurpark nicht. Dort sind die Tische im Biergarten gut gefüllt, und als Peter Hoffmann zum Siebenschritt aufruft, auch gleich die Tanzfläche: "Den kennt ihr ja auch", sagt der Tanzmeister unter seinem Strohhut. "Sieben Schritt' vor, sieben zurück, auseinand und wieder zamm, und dann drahn." Hoffmann fasst seine Frau Uta an der Hand, die einen mit bunten Blumen geschmückten Hut trägt, und macht es vor. Dann spielen die Musicanti Bavaresi auf, und die Paare tanzen. Die Koordination ist nicht leicht auf der für den Andrang sehr kleinen Tanzfläche im Biergarten des Kurhauses. Aber die Tänzer sind geübt und treten sich nicht gegenseitig auf die Füße. Manche singen zur Melodie der Streicher: "Bist nicht hier, bist nicht da, bist wohl in Amerika."Und alle haben ein Lächeln im Gesicht.

Es ist Kocherlball in Tölz. Die Tanzveranstaltung für Frühaufsteher geht auf die Tradition des 19. Jahrhunderts zurück, als sich Dienstboten an einem Sommersonntag zum Ball trafen, früh genug, um den Herrschaften danach noch das Frühstück zu servieren. In München wurde das Tanzfest zum 200-jährigen Bestehen des Englischen Gartens 1989 wiederbelebt, heute kommen 5000 zum Kocherlball am Chinesischen Turm. Uta und Peter Hoffmann gehen dort nicht hin. "Das ist inzwischen eine Massenveranstaltung", sagt der Tanzmeister. "Hier hingegen ist es ein absoluter Traum."

Den Tölzer Kocherlball gibt es erst seit 2014, nach dem Münchner Vorbild wurde die Veranstaltung zum 100. Geburtstag des Kurhauses eingeführt. "Es ist jetzt das vierte Mal, und jedes Jahr werden es mehr", sagt die Veranstalterin und stellvertretende Kurdirektorin Susanne Frey-Allgaier mit Blick auf die Tanzfläche. Sie ist zufrieden, auch wegen der traumhaften Bedingungen: Mussten die Tänzer im vergangenen Jahr wegen des schlechten Wetters noch ins Kurhaus ausweichen, drehen sich die Paare an einem traumhaften Sommertag übers Parkett. Bei angenehmer morgendlicher Frische. "Jetzt ist es super", sagt Marion Meier. "Um elf ist es so warm, dass du es nicht mehr aushälst." Die Tölzerin tanzt mit ihrer Freundin Dagmar Karl, die mit ihrer Haube, dem karierten Kleid und der Schürze als einzige wie ein "Kocherl" aussieht. Ihre Männer, sagen die beiden, tanzen eben nicht. Die Frauen kennen sich vom Squaredance, von den "Flying Dandolines" in Irschenberg. Da gebe es Parallelen, sagt Meier: Squaredance sei nämlich aus der Francaise entstanden, einem Tanz, der zum Kocherlball gehört wie die Polka und der Walzer.

Mit der musikalischen Mischung aus bürgerlichem Ballprogramm wie Strauss-Walzer und ländlichen Stücken sollen "Stadt und Land sich vermischen", erklärt Kapellmeister Franz Mayrhofer. Der Musiker hat in den 1980er-Jahren in München die Redouten wieder eingeführt und dort auch Hoffmann kennengelernt. Er und seine Musiker gehören zum Tölzer Kocherlball dazu und sind ein wichtiger Grund für den Erfolg der Veranstaltung. "Die Atmosphäre hier hat einen ganz besonderen Charme", sagt Mayrhofer. Der Andrang auf der Tanzfläche wundert ihn dagegen wenig. "Da, wo wir unser Programm machen, ist es selbstverständlich, dass die Leute tanzen", sagt er. "Die nicht tanzen, kommen nicht."

Die frühe Stunde tut der Stimmung keinen Abbruch. Im Gegenteil: Wenn Hoffmann seine Ansagen macht, wird viel gelacht, die Kocherlball-Besucher sind ausgelassen wie wohl einst die Dienstboten an ihrem freien Morgen. Eigentlich müssten die Männer dann die Frauen in die Luft heben, erklärt der Tanzmeister vor einem Stück. "Aber das sollen die Jungen machen, ich hab's mit dem Rücken." Beim Tanz werden die meisten Frauen später auch nur andeutungsweise gelupft. Dann stellen sich Uta und Peter Hoffmann in die Mitte der Tanzfläche. Bevor die Musiker eine "flotte Polka" spielen, erklärt der Tanzmeister die komplizierte Abfolge: erst Paartanz, dann klatschen sich die Männer im Kreis ab, dann gibt es eine Promenade, bei der sich die Paare an der Schulter fassen und im Kreis laufen. Viele kennen die Hoffmanns aus dem Workshop, den sie im Tanzsportclub Tölzer Land vor dem Kocherlball geben. Aber es sind auch Volkstanzfans aus Miesbach, Kreuth und Wolfratshausen da. Und alte Hasen.

Einer von ihnen ist Otto Thalhuber aus Benediktbeuern. Der schlanke 78-Jährige mit Strohhut und kurzen Lederhosen tanzt mit seiner Frau Elisabeth, die er beim Volkstanz kennengelernt hat, wie er sagt. "Ich tanze seit 50 Jahren", sagt Thalhuber. "Damals waren das noch junge Paare, nicht so ein Altersheim wie hier." Beim Volkstanz, erzählt er, habe man gut Frauen kennenlernen können, weil die auch allein zu den Veranstaltungen durften. "Tölz war eine Hochburg: gute Musik und fesche Madln." Der Kocherlball gefalle ihm, weil er Freunde treffe, sagt Thalhuber. Nur die Tanzfläche sei zu klein für einen Walzer. Dafür aber genieße er die Vorzüge eines Biergartens. "Der Vorteil ist, dass du dein eigenes Frühstück mitbringen kannst."

© SZ vom 12.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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