Tölzer Theater:Kleinmut im Spiegel

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Mit der Inszenierung von Philipp Löhles Drama "Wir sind keine Barbaren" gelingt der "Komischen Gesellschaft" die Gratwanderung zwischen Zeitkritik, Selbstreflexion und witziger Unterhaltung.

Von Wolfgang Schäl, Bad Tölz

Schwer verunsichert: Paul (Adnan Erten) und Linda (Verena Peck) wollen nichts von einem afrikanischen Flüchtling wissen, der an ihre Haustür geklopft hat. Obwohl der Fremde ein Phantom bleibt, bringt er ihre Welt komplett aus den Fugen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Er heißt Bobo, vielleicht auch Clint. Er ist dunkelhäutig und klopft eines Nachts an die Türen zweier in einem Haus nebeneinander lebender Ehepaare. Paul und Linda sind verunsichert und weisen den afrikanischen Flüchtling brüsk ab, bei Barbara und Mario findet er Aufnahme, gegen die starken Bedenken Marios. Doch Barbara ist spontan bereit, sich auf den völlig fremden nächtlichen Besucher einzulassen, ihm Unterkunft zu gewähren und damit, wie sich herausstellen wird, die Koordinaten ihres bürgerlichen Lebens total zu verschieben. Bobo selbst bleibt bis zum Schluss ein Phantom, auf der Bühne sieht man ihn nicht, seine Konturen gewinnt er ausschließlich aus den Erzählungen der Protagonisten. Das ist die Ausgangslage, der Plot, das Klopfen an der Tür setzt eine Handlung in Gang, die nach allerlei kuriosen Irritationen und teils klamaukig ausgefochtenen Konflikten tragisch, nämlich für Barbara tödlich endet.

Mit dem Stück "Wir sind keine Barbaren" des deutschsprachigen Dramatikers Philipp Löhle ist "Die komische Gesellschaft" in der Tölzer Madlschule hervorgetreten und hat am Samstag unter der Regie von Ulla Haehn vor ausverkauftem Haus eine stark beachtete Premiere hingelegt - das Publikum war begeistert.

Dabei hätte es auch schiefgehen können, denn das schwergewichtige Stück bewegt sich auf dünnem Eis. Es hätte mit Blick auf die anhaltend erregte Flüchtlingsdebatte auch im Vorsichtigen, Unverbindlichen versinken können, zumal sich natürlich von vornherein die Frage aufwirft, ob sich ein so kontrovers diskutiertes Thema mit Stilelementen der Boulevardkomödie auf der Bühne adäquat abarbeiten lässt. Dass dies doch möglich wurde, spricht für das Stück, für die professionellen schauspielerischen Leistungen von Adnan Erten (Paul), Verena Peck (Linda), Susanne Pienkowski (Barbara) und Stefan Riedl (Mario), besonders aber für die kluge Regie.

Sie stellt nicht die äußeren Ereignisse einer zunehmend unüberschaubaren Welt selbst in den Vordergrund, sondern deren seelische Wirkungen auf die vier so unterschiedlichen Charaktere. Abstrakte Ängste vor dem Verlust von gesellschaftlichen Normen und Konventionen kommen da zum Vorschein, aber auch banale Ängste des Alltags: "Wir haben Angst, körperlich zu verfallen", heißt es da, "wir haben Angst vor dem Geräusch des Zahnarztbohrers, wir haben Angst, gekündigt zu werden, wir haben Angst, Angst, Angst ..." Aber was bedeutet unsere kleine Angst im Vergleich zu dem Albtraum, den Menschen wie Bobo täglich durchleiden?

Den Kleinmut unserer gesicherten bürgerlichen Welt transportiert das Stück in seiner Überspitzung immer wieder ins Absurde, ja Komische und macht ihn damit umso greller sichtbar. Dramaturgisches Instrument dieses Prozesses ist ein Sprechchor, der Zäsuren im Bühnengeschehen setzt, der die Stationen der Handlung und die jeweilige innere Verfassung der Protagonisten markiert und verdichtet.

In diesem Sinne lässt sich auch das überzeugend schlichte Bühnenbild deuten - jede Phase der Handlung wird in immer wieder neu aufgebauten weißen Karton-Quadern dargestellt. Wie ließen sich beispielsweise die Mauern, die wir alle vermutlich in uns aufgebaut haben, besser und einfacher illustrieren?

Ganz sicher vor Plattitüden ist der Autor des Stücks leider nicht: Muss die gar so menschen- und fremdenfreundliche Barbara unbedingt vegane Köchin sein? Muss ihr Ehemann Mario, der sich ausdauernd einem riesigen neuen Flachbildfernseher widmet, um ihn am Ende doch nicht in Gang zu bringen, gar so technophil-trottelig daherkommen? Derlei Gags sind mitunter überdosiert und stören ein wenig die Selbstreflexion, die das ambitionierte Stück dem Zuschauer doch abgewinnen will. Höchst sehenswert ist es trotzdem.

Komische Gesellschaft: "Wir sind keine Barbaren" von Philipp Löhle, Alte Madlschule, Bad Tölz. Weitere Vorstellungen am 23. und 30. November sowie am 1. Dezember jeweils um 20 Uhr. Die Vorstellung am 25. November beginnt bereits um 19 Uhr. Karten zu 12/10 Euro in der Buchhandlung Winzerer, Tel. 08041/98 12

© SZ vom 20.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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