TÖLZER PRÜGEL:Wolfratshauser Grenzwall

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Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen? In Wolfratshausen schon. Der Stadtrat genehmigt mehrheitlich den Bauantrag  der Maro-Genossenschaft, die eine 3,50 Meter hohe Wand um das Mehrgenerationenhaus an der Sauerlacher Straße ziehen will. Die ist damit nur zehn Zentimeter niedriger als die Berliner Mauer.

Von Konstantin Kaip

Vielleicht war es ja so eine Art umgekehrte historische Referenz, dass der Wolfratshauser Stadtrat am Mittwoch mehrheitlich dem Bauantrag für das Mehrgenerationenhaus der Maro-Genossenschaft an der Sauerlacher Straße zugestimmt und eine 3,50 Meter hohe Mauer um den Neubau genehmigt hat. Drei Tage später war schließlich der 30. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin. Die Wolfratshauser Mauer wird künftig allen Passanten einen Eindruck des einstigen deutsch-deutschen Grenzwalls geben, der sie laut Wikipedia nur geringfügig um zehn Zentimeter überragt hat. Davon abgesehen allerdings fällt es schwer, die Großzügigkeit zu verstehen, mit der die sonst doch so rigiden Stadträte - abgesehen von der CSU-Fraktion - in diesem Punkt einer Befreiung vom Bebauungsplan zustimmten, der eine Einfriedung verbietet.

Die Mauer sei erforderlich, so argumentieren die Bauherren, vor allem als Schallschutz für die oberen Wohngeschosse, aber auch für eine "bessere Nutzbarkeit des Innenhofs als Aufenthaltsfläche", wie es in der Sitzungsvorlage heißt. Mag schon sein, dass der Wolfratshauser Stadtrat, der ja mit seinem Lärmaktionsplan die gesundheitlichen Auswirkungen des Verkehrs außerordentlich ernst nimmt, um einiges geräuschempfindlicher ist als andere Gremien. Aus der deutschen Geschichte sollten die Stadträte allerdings gelernt haben, dass man mit dem Bau einer Mauer auf Dauer nichts löst - auch nicht, wenn sie mit bogenartig geformten Sitznischen ausgestattet ist. Sie haben den Wall jedoch gleich genehmigt, wenn auch niedriger, als ursprünglich beantragt. Ein Vorstoß, der seltsam übereilt wirkt: Sie hätten die Mauer auch ablehnen und dann wie üblich auf einen modifizierten Neuantrag warten können, in dem der Architekt die Probleme anders löst.

Natürlich ist das Mehrgenerationenhaus mit geförderten Wohnungen ein wichtiges Projekt. Es ist sogar essenziell angesichts des Mangels an bezahlbarem Wohnraum, der in der ganzen Region und auch in der Loisachstadt herrscht. Um es zu verwirklichen, sind Befreiungen von einem ohnehin überholten Bebauungsplan also durchaus legitim. Alles, was der Neubau leisten soll, geht aber ziemlich sicher auch ohne Mauer. Zumal die Bürgergenossenschaft Maro erklärt, die Architektur des Ensembles sei "ausgelegt auf Kommunikation und Begegnung". Mit Passanten, die nicht dort wohnen werden, kann dies aber bei der geplanten Abschottung kaum gelingen.

Eher im Gegenteil: Schließlich weckt der genehmigte Schallschutz auch Begehrlichkeiten bei den Nachbarn, die ebenfalls auf die Idee kommen könnten, sich gegen den Verkehrslärm meterhoch zu verbarrikadieren.

© SZ vom 11.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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