Tölzer Prügel:Hemmungslose Vorbilder

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Man muss in Momenten der Unvollkommenheit danzu seinen Fehlern stehen. In Penzberg hat das jüngst nicht funktioniert

Kolumne von Florian Zick

Mit Vorbildern ist es offenbar so: Sie haben ihre lichten, aber auch ihre dunklen Seiten. Man erinnert sich zum Beispiel noch ganz gut an Margot Käßmann. Als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland war sie eine absolute Orientierungsperson. Egal zu welchem Thema: Wenn sie in einer politischen Talkshow zu Gast war, hörte man ihr stets gerne zu. Ihre Sätze waren eine Art moralische Leitplanke für unser Zusammenleben - bis Käßmann in Hannover betrunken über eine rote Ampel fuhr. Ziemlich genau zehn Jahre ist das her. Diese Alkoholfahrt hat sie als gesellschaftliches Idol nachhaltig vom Sockel geholt.

Wahrscheinlich muss man akzeptieren, dass sich auch Vorbilder nicht immer vorbildlich verhalten. Auch ihnen muss man schwache Momente zugestehen. Selbst der geduldigste Mensch kann einmal ausrasten, selbst der fairste Spieler einmal ein Foul begehen. Man muss in solchen Momenten der Unvollkommenheit dann nur zu seinen Fehlern auch stehen. Und genau das hat in Penzberg jüngst nicht wirklich überzeugend funktioniert.

Wie erst jetzt bekannt wurde, ließen sich Bürgermeister Stefan Korpan (CSU) und ein paar andere Lokalpolitiker nach einer Stadtratssitzungen bis tief in die Nacht zur Teilnahme an einer Kindsbierfeier hinreißen. Ende Mai war das, mitten im Corona-Lockdown. Sperrstunde, Hygieneabstand und Zwei-Haushalte-Regel? Offenbar alles egal. Nun muss man von den Teilnehmern deshalb nicht die gleichen Konsequenzen einfordern, wie sie Margot Käßmann 2010 gezogen hat - die ist damals zurückgetreten. Ihrer Vorbildrolle als Volksvertreter in einem Stadtparlament sind die Penzberger Lokalpolitiker aber keineswegs nachgekommen. Einige sollen sogar Hals über Kopf getürmt sein, als vor dem Lokal die Polizei eintraf. Da kann man sich dann nicht einmal mehr mit Gedankenlosigkeit herausreden. Denn wer erst hemmungslos feiert und dann reumütig flüchtet, dem war durchaus bewusst, dass er etwas Falsches tut.

© SZ vom 29.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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