Tölzer Prügel:Abriss-Kalender zum Advent

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Die festlich geschmückte Wolfratshauser Marktstraße ist zumindest an einem prominenten Abschnitt eine Via Dolorosa...

Kolumne von Konstantin Kaip

In Wolfratshausen hat die Weihnachtszeit in diesem Jahr etwas Österliches. Schließlich ist der Advent für die Bewohner der schönen Loisachstadt eine Art Passionszeit, wenn man vom Ursprung des Wortes ausgeht. Passio steht im Spätlateinischen auch für das Leiden und Erdulden. Und die festlich geschmückte Marktstraße ist zumindest an einem prominenten Abschnitt eine Via Dolorosa: dort, wo die Ruine des ehemaligen Isar-Kaufhauses sich hinter den Christkindlmarktbuden erhebt und Passanten beschämt zu Boden schauen, unwillkürlich den Kopf schütteln oder, wenn sie Pech haben, ungläubig dreinblickenden Gästen die komplizierte Geschichte eines Stillstands erzählen müssen, deren Ausgang ungewiss ist.

Kein Wunder also, dass ganz Wolfratshausen dieser Tage nicht nur sehnsüchtig auf Jesus Christus, sondern auch auf eine Art Christo als Erlöser wartet, der den ganzen halb abgerissenen Trümmerhaufen, der die festliche Stimmung in der Altstadt so ostentativ trübt, verhüllen möge wie der Verpackungskünstler seinerzeit den Reichstag. Es muss ja nicht gleich das ganze Paket geschnürt werden, ein giebelhohes Gerüst, das die Bauruine verdeckt, würde wohl den meisten schon sehr helfen. Darauf kann man dann alles Mögliche drucken, die ursprüngliche Fassade vielleicht mit Hilfe des Historischen Vereins oder in Gottes Namen auch Werbung. Die Theatinerkirche in München wurde schließlich auch während ihrer Renovierung vom Riesenposter eines Sportartikelherstellers verdeckt, das den Fußballspieler und heimlichen Ehrenbürger Franck Ribéry als Märchenkönig zeigte. Die Drogeriemarktkette, die ja irgendwann in den Neubau an Stelle der Wolfratshauser Ruine einziehen will, hätte so eine gigantische Möglichkeit, nachhaltig Aufmerksamkeit zu generieren. Stattdessen aber reicht es nur zu einer Minimallösung: Der Bauzaun, der langgewachsenen Passanten nicht einmal bis zur platzenden Hutschnur reicht, soll mit Bannern abgedeckt werden.

Dabei bietet doch gerade der Advent eine Riesenchance für Investoren und Stadt, die missliche Lage für sich zu nutzen. Schließlich verwandeln viele Firmen ihre Gebäude aufwendig in Weihnachtssensationen. Ein großer deutscher Autohersteller etwa macht aus seinem Hochhaus an der Donnersbergerbrücke in München jedes Jahr einen Adventskalender, in dem bis Weihnachten täglich ein neuer Luxusbolide hinter der Glasfront freigelegt wird. Bei der Ruine des Isar-Kaufhauses finden sich, wenn man die aufgerissenen Räume an der Seite mitzählt, locker 24 Fensterl, die man dekorativ in Szene setzen könnte. Vielleicht lassen Investor und die Kläger-Nachbarn aber auch den weihnachtlichen Geist des Friedens und der Liebe walten und einigen sich noch gütlich. Die Kaufhausreste könnte man dann in 24 Abschnitte einteilen und täglich einen niederreißen, bis an Heiligabend nichts mehr übrig ist. So ein Advents-Abrisskalender steht sicher bei vielen Wolfratshausern ganz oben auf dem Wunschzettel.

© SZ vom 02.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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