SZ-Serie: Ein Anruf bei...:"Die seelischen Folgen im Blick behalten"

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Christa Schmidt hat eine Praxis in Ebenhausen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Ebenhausener Psychoanalytikerin Christa Schmidt bietet Rat in der Corona-Krise

Interview von Lea Gittermann, Ebenhausen

Seit mehr als einem Monat bestehen in Bayern die Ausgangsbeschränkungen. Tage und Wochen, in denen nicht wenige Menschen perspektivlos zu werden drohen. Die Ungewissheit und finanzielle Sorgen treiben viel um. Christa Schmidt ist Psychoanalytikerin in Ebenhausen. Seit 30 Jahren hat sie dort eine eigene Praxis. In dieser schwierigen, ungewissen Zeit ist sie dennoch für ihre Patienten da und hört zu.

SZ: Was sind momentan die größten Sorgen der Menschen?

Christa Schmidt: Ängste. Die allermeisten haben Angst. Die Angst ist deswegen so groß, weil niemand weiß, wie lange es noch so weiter geht. Manche sagen, es wird wohl noch ein oder sogar zwei Jahre dauern. Es gibt kein konkretes Ende. Zusätzlich ist die Sorge, wie es wirtschaftlich weitergeht, groß, und einige haben konkret Angst vor Kurzarbeit. Viele sind auch mit der Kinderbetreuung überfordert.

Wird die psychische Versehrtheit der Menschen unterschätzt?

Ja, ich finde schon. Schaut man sich an, was für ein Gewicht Virologen, Politiker und Ökonomen derzeit überall haben, dann ist es nicht gleichwertig gewichtet. In der öffentlichen Diskussion kommt zu kurz, was die Situation mit jedem einzelnen macht. Beziehungen sind essenziell für den Menschen. Ob zu der eigenen Familie oder zu Freunden. Wenn der physische Kontakt wegfällt, hat die Beziehung eine andere Qualität. Denn der gesamte nonverbale Bereich ist nicht sichtbar. Einige Menschen vereinsamen und hegen Suizidgedanken. Es ist also sehr wichtig, die seelischen Folgen der Corona-Krise im Blick zu behalten.

Ist die Angst denn begründet, oder lähmt sie womöglich eher?

Teilweise ist die Angst begründet. Schließlich schützt sie uns auch. Würden wir keine Angst vor dem Virus haben, würden wir uns auch nicht davor schützen. Dann ist es ein realer guter Schutz. Ein neurotischer Schutz hingegen lähmt. Denn er generalisiert die Angst so sehr, dass man das Haus nicht mehr verlässt. Überall sieht man eine potenzielle Gefahr, sich anzustecken. Dann entwickelt sich ein negativer Strudel. Das sollte man vermeiden, indem man trotz der Angst versucht rauszugehen und sich Tagesstrukturen zu schaffen.

Was raten Sie denen, die nicht mehr weiter wissen?

Es gibt einige Beratungsstellen, an die man sich wenden kann. Und auch ich biete meine Hilfe an. In der jetzigen Situation kann, wer reden möchte, eine kostenlose Beratung bei mir in Anspruch nehmen. Montags von 16 bis 17 Uhr telefonisch unter 08178/7100. Für manche ist aber auch das Musizieren eine tolle Möglichkeit, sich abzulenken. Musik hilft über viel Schmerz hinweg. Das Buch "Überlebenskunst" von Luise Reddemann zum Beispiel behandelt das Thema, wie Musik die seelische Widerstandskraft stärken kann. Für andere sind es ausgedehnte Spaziergänge in der Natur oder die Gartenarbeit, die wohltuend ist. Yoga, gute Bücher und Gedichte können helfen, um eine andere Dynamik zu entwickeln. Außerdem ist es immer hilfreich, im Hier und Jetzt zu bleiben und zu analysieren wofür man auch dankbar sein kann. In einem "Sonnenbuch" kann man beispielsweise auflisten, was am jeweiligen Tag schön und "die Sonne" war.

© SZ vom 28.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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