SZ-Serie: Ehrensache, Teil 7:"Willkommen im Wolfsrudel"

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Irmgard Kober trägt als Lernpatin an der Geretsrieder Karl-Lederer-Grundschule dazu bei, dass alle Kinder in die Gemeinschaft integriert werden. "Wir haben ein großes Angebot", sagt sie. "Aber man muss auch versuchen, es zu vermitteln"

Von Anja Brandstäter, Geretsried

In einem Klassenzimmer der Karl-Lederer-Grundschule in Geretsried steht ein Zelt. Darin bunte Kissen und Irmgard Kober mit einem Kind. Die Lernpatin übt in der gemütlichen Atmosphäre des kleinen Zeltraums mit ihrem Schützling Lesen. Auch das Klassenzimmer wirkt mit seinen Bücherregalen, in denen sich Spiele finden, sehr einladend, hell und freundlich. "Willkommen im Wolfsrudel" steht an der Tür. Dieses Motto verdeutlicht, was sich die Schule auf die Fahne geschrieben hat: Keines der Schulkinder soll ausgeschlossen werden, alle die gleichen Chancen bekommen.

Dass sich Kober um die Kinder kümmert, ist für die Klassenlehrerin der 2e, Carina Zeisel, eine große Erleichterung. Als sie im Herbst vergangenen Jahres merkte, dass zwei Kinder mit Migrationshintergrund im Unterricht nicht mitkommen, hat sie sich an den Asylhelferkreis Geretsried gewandt. "Ich habe dringend Lernpaten für zwei meiner Schüler gesucht", erzählt die junge Lehrerin. "Daraufhin hat sich Irmgard Kober gemeldet. Wir arbeiten sehr gut zusammen, die Kommunikation läuft hervorragend. Wir sprechen vorher ab, wo es bei den beiden Kindern hapert", sagt Zeisel.

In einem Zelt, das eine geschützte Atmosphäre bietet, geht Lernpatin Irmgard Kober mit den Schülern den Unterrichtsstoff noch einmal durch. Sie kommt einmal pro Woche in die Schule und nimmt sich für jedes Kind eine halbe Stunde Zeit. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Kober kommt einmal pro Woche in die Schule und nimmt sich für jedes Kind eine halbe Stunde Zeit, um Lerninhalte eins zu eins zu vertiefen. "Manchmal lesen wir miteinander, manchmal rechnen wir mit dem Rechenschieber. Oft können sich die Kinder nicht konzentrieren und schweifen sehr schnell ab", erklärt sie.

Die Lernpatin ist sich sicher, dass die Hilfe für die Kinder sehr wertvoll ist: "Sie merken, dass sich jemand für ihre Belange interessiert, und lernen gerne." Dementsprechend machen die Kinder große Fortschritte und können schon wesentlich besser im Unterricht mithalten. Mittlerweile hat sich auch ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. "Plötzlich beginnen sie, mir etwas aus ihrem Leben zu erzählen. Das hat sehr lange gedauert."

Die Funktion als Lernpatin erfordert viel Geduld, denn die Kinder haben einiges zu verarbeiten: "Der Krieg, die Flucht oder das Dasein in einem Flüchtlingscamp beschäftigen sie nachhaltig. Von zu Hause können sie keine Hilfe erwarten, da die Eltern meist kein Deutsch sprechen." Der Schlüssel für erfolgreiches Lernen liege darin, die Kinder nicht zu überfordern und sich selbst nicht so wichtig zu nehmen.

Kober ist mit Leidenschaft bei der Sache. Die Kieferorthopädin ist im Ruhestand. Zuvor hatte sie neben ihrer Berufstätigkeit selbst drei Kinder großgezogen. Inzwischen hat sie vier Enkelkinder, die ihre Großmutter auch regelmäßig sehen wollen. Trotz der begrenzten Zeit liegt es der engagierten Frau am Herzen, dass sich aus ihrer Heimat geflüchtete Menschen schnell integrieren, um die Entstehung von Parallelgesellschaften zu vermeiden. "Es geht mir um ein einigermaßen harmonisches Zusammenleben. Die Menschen, die zu uns kommen, sollten zumindest unsere Lebensgewohnheiten kennen", sagt sie. "Wir haben ein großes Angebot, aber man muss sich auch bemühen, es zu vermitteln."

Derzeit haben rund 260 von 430 Schülern der Karl-Lederer-Grundschule einen Migrationshintergrund. Laut Konrektorin Elke Goymann hat sich die Schule auf diese Herausforderung bestens vorbereitet: "Wir haben ein Integrationskonzept erarbeitet, um Chancengleichheit für alle Kinder zu schaffen. Ein wichtiger Baustein darin sind die Lernpaten. Die verschiedenen Bausteine werden immer wieder hinterfragt und angepasst. So können wir viel ausprobieren und die Fortschritte evaluieren".

Goymann hat sich wegen dieser spannenden Aufgabe von der Grundschule in Königsdorf nach Geretsried versetzen lassen. Mit dem Integrationskonzept ist sie an die Stadt Geretsried und an die Regierung herangetreten, um Zuschüsse für die Lernförderung zu beantragen. Das ist ihr gelungen: Drei Fachkräfte konnte sie mit Hilfe der Fördergelder einstellen. Weiterhin stehen der Schule ehrenamtlich eine pensionierte Lehrerin und eine Studentin zur Seite.

"Alle Maßnahmen sind für alle Kinder", sagt Goymann. Von sieben Uhr morgens an können Schülerinnen und Schüler an einem Frühstück teilnehmen, das von dem Verein "brotZeit" unterstützt wird. Rund 45 Kinder nehmen das Angebot täglich gerne an. Inzwischen ist Goymann sehr gut vernetzt, sowohl mit dem Asylhelferkreis als auch mit dem Arbeitskreis "Miteinander voneinander lernen". "Die Schule soll ein positiv belegter Ort für alle Kinder sein", sagt die Konrektorin. Die Lernpaten tragen nicht unerheblich dazu bei.

© SZ vom 27.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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