SZ-Serie: Ehrensache, Folge 10:Die Dorf-Helferin

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Simone Jungfer hat im Bürgerhaus Achmühle ein Familiencafé aufgebaut und damit Strukturen neu geschaffen, die früher in so überschaubaren Einheiten selbstverständlich waren

Von Christa Gebhardt, Eurasburg

Mit der Zeit habe man die Nachbarn auf der Straße erkannt, sagt Simone Jungfer, aber eigentlich "hat man sich immer nur aus dem Auto heraus freundlich zugewinkt". Die junge Frau ist vor sechs Jahren mit ihrer Familie von München nach Achmühle gezogen. Da war der Traum vom eigenen Haus mit Garten für die Kinder finanziell gerade noch erfüllbar, in der Stadt war längst nichts Bezahlbares mehr zu finden. Drei Jahre alt war die heute neunjährige Emilia damals, die sechsjährige Klara gerade geboren.

So wie den Jungfers ging es vielen Familien mit kleinen Kindern, die in den vergangenen Jahren in Achmühle ein neues Zuhause gefunden haben. Kontakt zu finden war schwierig in einem Dorf, das kein richtiges Dorf ist mit Kirche, Wirtshaus, Bäcker und Gemüsemarkt, sondern eine stark wachsende Siedlung, die zur Gemeinde Eurasburg gehört. Hier steigen morgens viele vor der Haustür ins Auto und abends vom Auto zurück ins Haus. Nach zwei Jahren Eingewöhnung an ihrem neuen Heimatort überlegte Simone Jungfer, wie sie eine große offene Gruppe für junge Familien organisieren könnte.

Gemeinsames Basteln im Achmühler Bürgerhaus: Simone Jungfer im Familiencafé mit (v. l.) Emilia, Luisa, Clara, Marlene, Moritz, Lasse und Bruno. (Foto: Hartmut Pöstges)

In Achmühle gibt es zwar ein schönes Bürgerhaus, das durch die Eigeninitiative der Achmühler entstanden ist und auch von ihnen selbst verwaltet und geführt wird. Aber es fehlte an einem Treffpunkt für junge Familien, auch wenn das Angebot an Vorträgen, Veranstaltungen und sportlichen Aktivitäten immer breiter wurde. Etliche der jetzt noch "aktiven Achmühler" sind dabei, in Pension zu gehen.

Als sich das Bürgerhaus im Jahr 2007 gründete, lagen die Interessen der Aktiven altersgemäß noch in anderen Bereichen als die der jungen Familien heute. Jungfer beschloss deshalb das Familiencafé zu gründen. "Zu Beginn habe ich alles alleine gemacht, die ganze Organisation", erzählt sie. Inzwischen sei es ein Selbstläufer. Zehn bis 14 Frauen mit 20 bis 25 Kindern treffen sich einmal im Monat am Mittwoch. "Öfter ginge gar nicht, weil die Frauen alle so krass viele Termine haben", erklärt sie, obwohl das Interesse groß sei und vor allem die Kinder die Treffen toll fänden. Denn sie bevölkern in einer riesigen Rasselbande den Spielplatz, können sich auf dem Bolzplatz austoben oder am Dorfweiher spielen.

Freundschaften und nachbarliche Hilfe entstehen zwischen den Frauen und den Kindern. In der Whatsapp-Gruppe können schnell mal wichtige Infos ausgetauscht werden. Praktische Dinge im Alltag stehen auf dem Plan im Familiencafé: Es geht um Erziehungsfragen, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Ausflüge, Ernährungsfragen, Informationen über Kinderkrippen, Kindergärten und Schulen, um Film- und Literaturtipps, Tauschen und Verkaufen, aber auch um gemeinschaftliches soziales Leben in einem neuen Netzwerk, in dem sich junge Familien nicht mehr so isoliert fühlen sollen.

Die "Tasche" abholen sei, so Jungfer, inzwischen so was wie ein Code geworden für die Mitglieder des Familiencafés. In der Tasche sind alle wichtigen Dinge, die man immer braucht, der Schlüssel fürs Bürgerhaus zum Beispiel. Allein über den Taschencode seien ganz viele neue Kontakte entstanden.

Simone Jungfer ist Sozialpädagogin und war in der Jugendarbeit München beruflich engagiert, zur Zeit baut sie sich als Heilpraktikerin für Psychotherapie eine neue selbständige berufliche Zukunft in eigener Praxis auf. Für ihre Kinder, die dritte und jüngste Tochter Johanna wird im Januar ein Jahr alt, ist sie erst mal zu Hause geblieben. Insofern sei sie ein "Auslaufmodell", sagt sie selbstironisch. Die meisten der zugezogenen jungen Mütter in Achmühle sind berufstätig.

Jungfer ist inzwischen gut bekannt im "Dorf", die "Alten" aus dem Bürgerhaus hätten sie sehr herzlich unterstützt, berichtet sie. "Mit großer Offenheit und ganz viel Vertrauen haben die das Haus für uns Junge geöffnet und helfen und beraten, wo es nur geht." Die "Alten" freuen sich auch, dass es neues Leben gibt im Bürgerhaus, sie wollen, dass die Jungen die Verantwortung dafür übernehmen, denn es soll ein Haus der Achmühler bleiben und nicht in die Verwaltung der Gemeinde übergehen. Auch wenn einige von ihnen skeptisch sind, ob die Initiative der Jungen ausreicht, das Bürgerhaus weiter zu führen, ist Jungfer total optimistisch. "Wir werden das alle zusammen schaffen." Sie hat mit ihrem Café jedenfalls schon mal das Netzwerk für die jungen Familien geknüpft: Gegenseitige Hilfe und soziales Miteinander können so gelingen, wie es einst üblich war in einem echten Dorf. Nur ein bisschen anders.

© SZ vom 02.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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