SZ-Serie: Bau-Geschichten:Vitamine tanken

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Benzin fließt schon lange keines mehr, dafür bietet Georgine Ringholz in der ehemaligen Tankstelle in Benediktbeuern Obst und Gemüse an. Auch Keramik aus Italien verkauft sie dort

Von Sabine Näher, Benediktbeuern

Sieben Jahre lang zog Georgine Ringholz mit ihrem Obst- und Gemüsestand über die Wochenmärkte in der Region. "Ich war immer auf der Suche nach einem kleinen Laden", erzählt die 55-Jährige, "aber ich konnte einfach nicht das finden, was ich mir vorstellte." Dann wurde 2006 in Benediktbeuern die kleine, Mitte der Fünfzigerjahre errichtete Tankstelle mit ihrem weit ausgreifenden Dach an der Tölzer Straße frei, die zum dahinter liegenden Autohaus Butz gehörte. Ringholz, im Dorf geboren und aufgewachsen, wurde sofort hellhörig. Sie besichtigte die verlassene Tankstelle und wusste: "Das ist mein Laden."

Weder Barock noch ländliche Formensprache prägen die Architektur der früheren Tankstelle in Benediktbeuern. Sie stammt unverkennbar aus den 1950er-Jahren. (Foto: Manfred Neubauer)

Wo einst die Zapfsäulen standen, hat sie nun Obst- und Gemüsekisten liebevoll arrangiert. Sie stehen an der frischen Luft, sind überdacht und somit vor Regen und direkter Sonneneinstrahlung geschützt - und ein Blickfang für Passanten. Ehe man in den eigentlichen Laden, das frühere Kassenhäuschen gelangt, betritt man einen gläsernen Vorraum. Zur Lagerung ihrer empfindlichen Ware ist dieser nicht eignet, erklärt Ringholz: "Im Sommer wird's zu heiß, im Winter friert's." Doch die überaus praktisch veranlagte Händlerin hat dafür eine wunderbare Verwendung gefunden: Dort präsentiert sie sorgsam ausgewählte Keramik, die einen Bezug zum Essen hat. Wunderschön verzierte Teller, Obst- und Salatschüsseln, Servierplatten und dergleichen mehr machen umgehend Appetit und erhöhen den Wunsch, sogleich was Essbares zu erstehen.

In dem Laden von Georgine Ringholz finden die Besucher auch italienische Keramik im Sortiment. (Foto: Manfred Neubauer)

Die Keramik stammt aus Italien; einmal im Jahr fährt Georgine Ringholz nach Bassano, um sie einzukaufen. "Ich nehme nur das, was mir selber gefällt. Großen Umsatz mache ich damit nicht, aber das eine oder andere verkauft sich doch." Außerdem trägt die ausnehmend schön gestaltete Keramik, die die Händlerin früher schon auf den Wochenmärkten anbot, zum besonderen Ambiente dieser "Vitamintankstelle" entschieden bei. Während draußen die Saisonware - leuchtende Erd-, Him- und Heidelbeeren, glänzende Pflaumen, saftige Pfirsiche und Nektarinen, gegenüber zehn Sorten Äpfel - lockt, ist drinnen auf engstem Raum in dekorativen Weidekörben alles aufgeboten, was man in einem solchen Laden erwartet. "Ich habe aber nicht das ganze Jahr über alles da", betont Ringholz. Erdbeeren im Dezember gebe es bei ihr ebenso wenig wie Rosenkohl im August. Sie achtet darauf, ein saisonal angepasstes Angebot zu offerieren; auf Flugware verzichtet sie weitestgehend. Bloß Ananas und Mango werden bei ihr eingeflogen. "Die anderswo herkommen, schmecken einfach nicht", gesteht sie.

Heute nutzt Georgine Ringholz das kleine Gebäude als Obst- und Gemüseladen. (Foto: Manfred Neubauer)

Und die Anbauländer Holland, Belgien und Spanien boykottiert sie soweit möglich. Dort werde alles zu schnell hergezüchtet, mit zu viel Einsatz von Chemie, so Ringholz' Überzeugung. Aus Umwelt- und Gesundheitsgründen beziehe sie daher möglichst keine Ware von dort. Regional Angebautes ist ihr sowieso am liebsten. So hat sie derzeit Äpfel aus Italien im Angebot. "Aber sobald im September die Bodenseeäpfel kommen, gibt's bei mir nur mehr die!"

Das alte Kassenhäuschen strahlt mit einer holzverkleideten Decke und dem sorgsamen Arrangement der bunten Waren eine äußerst einladende Atmosphäre aus. "Mir ist es wichtig, dass der Kunde das ganze Angebot gleich im Blick hat", erklärt die Inhaberin. "Und das geht hier hervorragend." Gleich gegenüber der alten Tankstelle liegt ein moderner Supermarkt. Ist das kein Problem für den Umsatz? "Überhaupt nicht", sagt Ringholz. "Meine Kundschaft legt Wert auf besondere Frische und Qualität, die ein Supermarkt so gar nicht bieten kann." Früher ist sie jeden Morgen selber zum Großmarkt nach München gefahren. Das tut sie sich jetzt nicht mehr an. Jeden Abend bestellt sie die Ware, die ihr dann morgens gegen halb neun in Benediktbeuern angeliefert wird. Im Schnitt schauen um die 50 Kunden täglich bei ihr vorbei. "Am Freitag können es aber leicht einmal 80 werden", lacht sie.

Ein Ehepaar füllt derweil etliche Tüten. Ist es etwas Besonderes, an einer Tankstelle einzukaufen? "Des is doch koa Tankstelle net", wehrt die Kundin ab. Und tatsächlich hat der Obst- und Gemüseladen den Gedanken an die frühere Nutzung des Gebäudes völlig verdrängt. "Ich lebe von meiner Stammkundschaft hier aus Benediktbeuern, aus Bichl, Penzberg oder Bad Heilbrunn", sagt die 55-Jährige. "Touristen kaufen höchstens mal ein paar Äpfel." Also lockt nicht die Kuriosität des Ortes, sondern schlicht die Qualität des Angebots. "Da kommt gerade meine älteste Kundschaft", erzählt Georgine Ringholz. Mit ungebrochener Vitalität steuert Elisabeth Schmidt auf die Auslagen zu. "Sie ist 94! So alt wird man, wenn man hier in Benediktbeuern lebt", lacht die Händlerin. Aber wohl nur, wenn man regelmäßig an der "Vitamintankstelle" einkauft.

© SZ vom 04.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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