Summer Village:Der Rebell und die Hühner

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Noch immer drastisch, aber pünktlich: Hans Söllner beim Summer Village in Bad Tölz. (Foto: Manfred Neubauer)

Hans Söllners Konzert zeigt: Der Sänger ist gesellschaftsfähig

Von Martina Schulz, Bad Tölz

Die Welt ist eine einzige Enttäuschung: Überall herrschen Katastrophen, werden Kriege geführt; der Justiz kann man nicht trauen und nicht der Polizei. Und auch Hans Söllner enttäuscht seine Fans zum Abschluss des Summer Village- Festivals in Bad Tölz am Sonntagabend: Er kommt recht pünktlich auf die Bühne. Weil die Welt so schlecht ist und der Menschheit offensichtlich nicht zu helfen, kämpft der 61-jährige Freibeuter der Bühnen jetzt für die artgerechte Haltung von Federvieh. "I woas, i konn die Menschheit ned retten, also probier ich's jetzt mit Hühnern", stellt er zur Belustigung des Publikums im fast ausverkauften Zelt mit Augenzwinkern fest.

Vom Außengelände des Festivals dringt der Geruch von gegrilltem Fleisch und Bier ins Innere, wo die Stimmung auf den Rängen zunächst eher verhalten ist, während die Hardcore-Fans direkt vor der Bühne die Refrains mitsingen und mit "Hans, Hans"-Rufen ihr Idol anfeuern. Söllner steht im weißen Shirt mit aufgedruckten Cannabis-Pflanzen, die Gitarre um den Hals, vor ihnen und wettert gegen Staat, Landwirte, die Kirche, Polizei, Richter, Lehrer - eben gegen alle, die seiner Meinung nach das System vertreten.

Viele von denen sitzen aber mittlerweile im Publikum, denn Söllner ist längst gesellschaftsfähig geworden. Kaum noch einer ist schockiert über die oft derbe Wortwahl des Sängers, der mit kratziger Stimme seine Anklagen im Zelt zum besten gibt - und das oft zu ganz entspannten Reggae-Klängen, die einen wohltuenden Kontrast zu den herben Texten bilden. So lauschen Teenies in Chucks, Männer in Tracht, Jeans oder Jogginghosen, der ein oder andere Hippie, Mütter in Ethno-Kleidung oder schicken Lederjacken sowie Großväter mit Baseballkappen und Cowboystiefeln seinen Ausführungen über den Lügen-Staat und seinen Appellen: "Sei nicht gut oder genial, sei einfach frei." Verschwörerisch der Hinweis, dass die Welt vor dem Zelt im Moment noch dieselbe sei, "weil wir noch nicht draußen sind".

Ob die Botschaften wie "Freiheit für die Kinder, die unsere Waffen tragen" oder "schaugt's euch alle nur für drei Sekunden an" beim Publikum wirklich ankommen oder ob dieses dem Mann, der in seiner Musik und in seinen anklagenden und wütenden Texten völlig aufzugehen scheint, mit einer Art Verblüffung folgt, bleibt im Unklaren - bis zu dem Moment, in dem Söllner das Lied vom Marihuanabaum anstimmt. Da gehen alle mit, da wird auch auf den bisher eher stillen Rängen mitgesungen und geklatscht.

Söllner, der die Augen nicht vor der Realität verschließen möchte, weil dann "Schlager möglich wird", hat mit diesem Lied letztlich einen Schlager geschrieben: Jeder kennt den Text und die Melodie, jeder kann ihn johlen und muss sich keine Gedanken über den Zustand der Welt machen. Hier geht es ausnahmsweise mal nicht um Weltverbesserungsszenarien und zornige Beschimpfungen wie "auf eure Scheißgesetze scheiß i".

Am Ende des zweistündigen Konzerts bedankt sich Söllner artig für die Geduld des Publikums. Er weiß wohl, dass Dauertiraden gegen gesellschaftliche Zustände ermüdend sein können und nicht unbedingt dazu beitragen, dass eben jene Gesellschaft sich ändert - weshalb er sich jetzt für Hühner einsetzt.

© SZ vom 25.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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