Streifzug:Pfeiler einer Planstadt

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Geretsried wird nicht nur von Kirchen geprägt, sondern auch von Plätzen und einem Hochhaus. Ein architekturhistorischer Spaziergang. Teil 2: der Süden.

Von Kaija Voss

Ein weiterer Herbstspaziergang durch Geretsried beginnt an der Nikolauskapelle. Das direkt an der B11 gelegene Kirchlein zählt zu den wenigen denkmalgeschützten Bauten, welche die jüngste Stadt im Landkreis aufweist. Das erste Mal wurde das "St.-Niclas Gottshaus" im Jahr 1315 erwähnt. Damals war sie noch kein Barockbau, sondern von einfacher Bauart, Anfang des 18. Jahrhunderts dann verfallen. Die heutige Kapelle wurde am 18. September 1722 durch den Freisinger Bischof Johann Franz Eckher von Kapfing und Lichteneck geweiht. Aus diesem Grund wird jetzt das Jubiläum 300 Jahre Nikolauskapelle mit einem Festgottesdienst gefeiert. Wer die Reliquien des Heiligen Nikolaus von Myra sehen möchte, muss ins süditalienische Bari fahren. Dorthin wurden seine Gebeine 1087 überführt, er bekam eine eigene Grabeskirche. Wer nicht bis nach Bari kommt, besucht den Schutzpatron der Flößer und Seeleute, der Bäcker und Metzger, der Kinder und jungen Frauen in Geretsried.

Barockes Urgestein

Die Nikolauskapelle, 1722 geweiht und lange Wallfahrtsort, gehört zu den Anfängen der Stadt. (Foto: Hartmut Pöstges)

Im Inneren der Kapelle gibt es ein raumhohes Nikolausbild aus dem Jahr 1858. Es stammt vom Kunstmaler Anton Eder. Der Heilige ist von den Porträtmedaillons der 14 Nothelfer umgeben. Streng genommen ist die Nikolauskapelle gar keine Kapelle - bis 1954 war sie Filialkirche der Pfarrei Königsdorf und Wallfahrtsziel. Hier wurde um Gesundheit, Kindersegen, um gute und gesunde Jahre gebetet. Bitten und Wünsche, die sich nicht geändert haben. Da die Kapelle nur an bestimmten Tagen, wie am Tag des offenen Denkmals im September und am Nikolaustag geöffnet ist, bleibt heute oft der Blick von außen, auf einen achteckigen Zentralbau mit kleinem Turm, bekrönt von Zwiebelhaube und Doppelkreuz, einem so genannten Patriarchenkreuz. Doch sind der Dachstuhl und seine Deckung mit Lärchenschindeln durch Pilz- und Insektenbefall akut gefährdet. Spenden sind vonnöten, damit das kleine barocke Baudenkmal auch eine Zukunft hat. Schließlich ist es nicht nur ein architektonisches Kleinod, es gehört zu den Anfängen der Stadt, die 1083 als "Gerratesried" erstmals urkundlich erwähnt wurde.

Auf der anderen Straßenseite der B11 liegt die Gaststätte Geiger. Für eine Einkehr ist es wohl noch zu früh. Dafür lockt ein Blumenfeld zwischen Tattenkofener Straße und Staatsstraße 2369. Hier gibt es noch letzte Sonnenblumen, die in der Vase prachtvoll und herbstlich aussehen würden.

Zeugnis seiner Zeit

Am Neuen Platz zeigt sich Geretsried als moderne Planstadt und in Verwandtschaft zu anderen Vertriebenenstädten Bayerns. (Foto: Hartmut Pöstges)

Doch der Weg führt geradeaus, danach rechts, die Johann-Sebastian-Bach-Straße entlang zum Neuen Platz. Geretsried zeigt sich als moderne Planstadt und in Verwandtschaft zu weiteren Vertriebenenstädten Bayerns, wie Neutraubling, Waldkraiburg oder Kaufbeuren-Neugablonz. Sie alle haben eine ähnliche Geschichte, ihre Stadtgestalt weist vergleichbare Tendenzen auf. Das Ensemble mit Neuem Platz und den umgebenden Vierteln versprach bei seiner Erbauung von 1961 bis 1964 ein komfortables Wohnen. Häuser mit Balkonen, umgeben von Grünräumen und eine zugehörige Infrastruktur mit Schule und Geschäften gaben rund 2000 Menschen ein neues Zuhause. Ein gigantisches Projekt für eine wirtschaftlich aufstrebende Gemeinde, in der es zu jener Zeit an Wohnraum fehlte. In den 1960-er Jahren stieg die Einwohnerzahl von Geretsried jährlich um 1000 Einwohner. 1962 wurde der erste Bau der Karl-Lederer-Schule errichtet. Bald geriet die Nachkriegsmoderne in die Kritik: Monotonie, fehlende Individualität, zu viel Beton. Die Architektur der Postmoderne der 1970er/80er Jahre reagierte vielerorts mit Türmchen und Torbögen, mit antikisierenden Säulen und Satteldächern. Vielerorts - aber nicht in Geretsried. Damit ist der Neue Platz - einschließlich der Figurengruppe "Schaffende Familie" von Wilhelm Srb-Schloßbauer, ein beinahe authentisches Architekturzeugnis seiner Zeit, bis auf einige kosmetische Korrekturen.

Doch während die Fünfziger Jahre für den Aufbruch in ein neues Deutschland stehen, wurde und wird die Architektur der nächsten Jahrzehnte häufig mit Betonklötzen, ideenlosem Bauen und unsensiblen Architekten in Verbindung gebracht. Vielleicht ist es so, dass, um einen Stil wertzuschätzen, ein größerer zeitlicher Abstand vorliegen muss. Viele Baustile traf dieses Schicksal, sie fanden zu ihrer Zeit keine Anerkennung und wurden in den nachfolgenden Jahrhunderten gefeiert. Die Bauten der Sechziger und Siebziger Jahre rücken gerade in den Fokus, doch bleibt es eine Diskussion mit sehr unterschiedlichen Positionen und ungewissem Ausgang. Was feststeht ist, dass sich die Geretsrieder Architekturgeschichte vom Neuen Platz bis zur Neuen Mitte entwickelt. Und, dass - vor dem Hintergrund ständiger Verdichtung - jeder größere Platz und jeder Grünraum ein Gewinn ist.

Kleinod mit Holzschindeln

Seit einem Jahr steht die Versöhnungskirche in Geretsried leer. (Foto: Hartmut Pöstges)

Weiter entlang der Johann-Sebastian-Bach-Straße, zum Pfarrzentrum Maria Hilf an der Richard-Wagner-Straße. Vorher noch ein Eis im "Roma" - es ist zwar kein Geheimtipp, aber eine Geretsrieder Institution. Der Anfang der heutigen Pfarrkirche Maria Hilf war eine Lagerhalle der Deutschen Sprengchemie. Nach Erweiterung und Anbau eines Glockenturms wurde sie 1950 geweiht. Zwölf Jahre später war die Kirche war zu klein. Gleich nebenan wurde im September 1964 die neue Pfarrkirche eröffnet. Die vielen neuen Bewohner Geretsrieds benötigten sogar noch eine weitere Kirche, eine evangelische. Neun Jahre nach Weihe der Petruskirche im nördlichen Teil, folgte 1970 die Versöhnungskirche im Süden. Auch sie steht an der Richard-Wagner-Straße, auch sie ist Gegenstand einer Architekturdiskussion. Denn heute stellt sich die Situation der Evangelischen Kirche anders dar, als noch vor 50 Jahren. Die Gemeinden schrumpfen, die Einnahmen werden weniger, die Instandhaltungskosten bleiben. Kirchen müssen profaniert oder verkauft werden, mit ungewissem Ausgang. Ebenso wie die Nikolauskapelle ist die Versöhnungskirche ein Kleinod. Mit ihrer Fassade aus Holzschindeln erinnert sie an Bauten in Skandinavien. Architekt war Franz Lichtblau, der auch die Petruskirche konzipierte. Den innovativen und neuartigen Grundriss der Versöhnungskirche bildet eine zellenartige Struktur aus sechseckigen "Waben" mit einer Fläche von je 25 Quadratmetern. Auch der Altar ist in einer überhöhten Wabe untergebracht.

Höhepunkt aus den Sechzigern

Das sogenannte "Tengelmann-Hochhaus" prägt mit seinen 37 Metern Höhe die Stadt. (Foto: Hartmut Pöstges)

Nicht allein Kirchen formen die architektonische Identität einer Stadt. Für Geretsried bis heute prägend ist das so genannte "Tengelmann-Hochhaus" am Chamalieres Platz. Mit 37 Metern Höhe zählt es zu den höchsten Häusern Oberbayerns und ist deutlich höher als die Kirchen der Stadt. Und als das neue Wohn- und Geschäftshaus "Puls G" am Karl-Lederer-Platz. Erbaut wurde es 1969 in Stahlbetonskelettbauweise: ein guter Kandidat für die kontroverse Architekturdiskussion zum Umgang mit Häusern aus den Sechziger Jahren. Besser, sich jetzt auf das Rad zu schwingen um Blumen im schon gesichteten Blütenfeld zu pflücken. Oder endlich einzukehren: bei Ammos am Neuen Platz, im Italy da Umile oder beim Gasthof Geiger, an der Nikolauskapelle.

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Holz, Glas, Beton
:Formensprache im Stadtbild

In Geretsried gibt es bemerkenswerte Bauten, die zwar meist schlicht und funktional wirken, aber viel von der Stadtentwicklung erzählen. Ein architekturhistorischer Spaziergang. Teil 1: der Norden.

Von Kaija Voss

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