Holz, Glas, Beton:Formensprache im Stadtbild

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Die "Champini"-Kita setzt Akzente. (Foto: Hartmut Pöstges)

In Geretsried gibt es bemerkenswerte Bauten, die zwar meist schlicht und funktional wirken, aber viel von der Stadtentwicklung erzählen. Ein architekturhistorischer Spaziergang. Teil 1: der Norden.

Von Kaija Voss, Geretsried

Der Geretsrieder Waldsommer mit Kettenkarussell und Bierzelt ist für dieses Jahr vorbei. Doch auch der Herbst ist eine gute Zeit, um Geretsried in Ruhe zu erkunden. Fernab von Baustellen und Verkehrslärm lassen sich, am besten per Fahrrad, neue Bauten im bekannten Stadtbild entdecken.

Schön ist es, sich die Stadt von Norden kommend, in Verlängerung des Isarradweges zu erschließen. Das birgt auch die Option, irgendwann in den Isarauen zu verschwinden, um den Tag, wenn das Wetter es zulässt, in einer der letzten Wildflusslandschaften Europas zu verbringen, in der die Flößer einst Bauholz, Schafe und Lebensmittel transportierten. Sogar der Dachstuhl der Münchner Frauenkirche kam im 15. Jahrhundert vorbei, in Einzelteilen. Immer montags wurden mit dem Ordinari-Floß Personen befördert. 1904 fuhr es zum letzten Mal die Strecke über Landshut und Passau bis nach Wien.

Schule in skandinavischer Optik

Die holzverkleideten Fassaden am Neubau der Isardammschule (rechts) spielen mit den architektonischen Ideen der skandinavischen Moderne. (Foto: Hartmut Pöstges)

Unsere Option führt am schattigen Isardamm entlang gen Süden: hier ist auf der linken Seite der ehemalige Kunstbunker, heute gehört er der Firma Krämmel. Durch das geöffnete Tor ist der weiße Kohlebunker der früheren Rüstungswerke zu sehen. Bis vor wenigen Jahren fanden hier spannende Kunstausstellungen statt. Seit letztem Herbst leben sie wieder auf, in den neuen Räumen des Galeristen Albrecht Widmann an der Elbestraße. Vorbei am Waldspielplatz, ebenfalls auf der linken Straßenseite, geht es bis zur Isardammschule. Der 2020 fertig gestellte Trakt für die Mittagsbetreuung bietet architektonisch Neues und Gelungenes. Die holzverkleideten Fassaden des in Modulbauweise errichteten Hauses spielen mit den architektonischen Ideen der skandinavischen Moderne. Sie passen hervorragend zur Schule, die 1970 eröffnet wurde. Realisiert wurde das neue Gebäude vom Büro Brückner Architekten aus Geretsried.

Chemie-Konzern mit Zylinder

Typisch für die Nachkriegszeit: Der Sitz von Pulchra Chemicals zeigt mit seinem Glaszylinder eine Architektur, die heute kaum noch zu finden ist. (Foto: Hartmut Pöstges)

Der Isardamm biegt jetzt links ab, auf der rechten Straßenseite das Areal von Pulcra Chemicals. Auffällig ist ein Gebäude mit einem dominierenden haushohen Zylinder aus Glasbausteinen. Eine Art der Gestaltung, die in der zeitgenössischen Architektur so kaum noch zu finden ist. Üblich wurde sie in der Nachkriegszeit bis in die 1970er-Jahre hinein, für die Gestaltung von Treppenhäusern. Die Ursprünge mögen auf den Glaspavillon der Werkbundausstellung in Köln 1914 zurückgehen. Architekt Bruno Taut zeigte damals werbewirksam, was mit Glas alles möglich ist. Seinen Kölner Pavillon, dessen gesamte Treppe aus Glasbausteinen war, gibt es schon lange nicht mehr. Er wurde mit Beginn des Ersten Weltkriegs abgerissen. Nachfahren gibt es bis heute, einen davon in Geretsried.

Pfarrzentrum als Gesamtkunstwerk

Das Pfarrzentrum Heilige Familie wurde nach dem Entwurf der Architektengemeinschaft Groethuijsen & Schreiber errichtet und vor knapp 50 Jahren eröffnet. (Foto: Hartmut Pöstges)

Wir biegen rechts in die Sperlingstraße ein und kommen zum kompakten Pfarrzentrum Heilige Familie. In den 1960er-Jahren war die Bunkerkirche am heutigen Kirchplatz zu klein geworden. Für den Neubau wurden mehrere Standorte diskutiert, auch ein Platz auf der Böhmwiese. 1968 fiel die Entscheidung für das heutige Grundstück, ein Architektenwettbewerb folgte. Gewonnen hat ihn die Architektengemeinschaft Groethuijsen & Schreiber mit dem Entwurf "Alles unter einem Dach". Vor knapp 50 Jahren, im Sommer 1973 wurde das Pfarrzentrum eröffnet. Die innenliegende quadratische Kirche ist das Herzstück. Im Kirchenraum wird, neben nacktem Beton, viel Holz verwendet, was einen warmen Raumeindruck generiert. Die schlichte, moderne Gestaltung des Zentralraums mit der gerasterten Holzdecke gibt heute Zeugnis von moderner Sakralarchitektur der Sechziger- und Siebzigerjahre. Das Pfarrzentrum mit Kindergarten, Jugendräumen und Kapelle ist funktional, keinesfalls pompös oder verspielt, wie es für bayerische Kirchen oft typisch ist. Bis heute ist das Ensemble komplex und authentisch, ein selten gewordenes Gesamtkunstwerk. Vor dem Haus steht ein Metallkreuz auf einer Stele, daneben die historische Glocke der Bunkerkirche, die dort von 1951 bis 1973 läutete.

Kita mit Glaskegeln

Die Sport-Kita "Champini" bietet eine verspielte Abwechslung im Stadtbild. (Foto: Hartmut Pöstges)

Zurück zum Isardamm, es geht nach rechts und nach wenigen Metern in die Alpenstraße, die in erster Linie ein stark verdichtetes Baugebiet der letzten Jahre ist. An ihr südliches Ende, wo noch viele Siedlungshäuschen der Geretsrieder Anfangsjahre zu finden sind, schließen sich die Sportstätten an. Zuerst das TUS-Vereinsheim, welches zwar kein architektonischer Höhepunkt, aber historischer Ort ist. Einst gab es auch hier eine Bunkerkirche oder besser einen Betsaal für die ersten evangelischen Christen der Stadt. Damals wurde auch er zu klein. Am 30. Oktober 1960 wurde die Petruskirche in der Egerlandstraße eröffnet, Architekt war Franz Lichtblau. Beim Blick über das Isarau-Stadion zeigen sich von weitem zwei kleine Glaskegel in der Dachlandschaft, der Champini-Kindergarten grüßt herüber. Er bietet verspielte Abwechslung im Stadtbild und zeigt - von der Stifterstraße aus - die moderne Variante eines gebauten Zylinders, nicht aus Glas, aber mit kreisrunden Fenstern.

Vom Familientreffpunkt zum "Lost Place"

Das alte Hallenbad war einmal ein generationenübergreifender Treffpunkt. Heute ist es vor allem für Fotografen interessant. (Foto: Hartmut Pöstges)

Direkt vor uns jetzt die alte Schwimmhalle. Historische Bilder präsentieren sie modern und weiß, erst in den Siebzigern erhielt sie ihre rustikale Holzverkleidung. Einst generationenübergreifender Treffpunkt von Schwimmanfängern und Sportlerinnen, ist sie heute auf dem Weg zum Lost Place. Einem Ort, der von Allgemeinheit kaum wahrgenommen wird, aber Fotografen anzieht. Bis heute beeindruckt die Sorgfalt, mit der einst die Außenanlagen gestaltet wurden: Bänke, ein heute verwildertes kreisrundes Hochbeet, eine Mosaikpflasterung. Im nahe gelegenen Hirschenweg treffen wir mit dem umgebauten Bunker der Firma Meinlschmidt eines der Häuser, die für Geretsried typisch waren. Die Firma produziert seit 1866 Ventile für Metallblasinstrumente. Seit 1953 in Geretsried.

Schwimmbad mit Stahlskelett

Die Baukörper des neuen interkommunalen Hallenbads staffeln sich wirkungsvoll vor der Kulisse des Stadtwalds. (Foto: Hartmut Pöstges)

Nach einigen Metern geht es nach rechts, vorbei am kleinen Waldstück mit Spielplatz, zur Stifterstraße. Direkt gegenüber das neue Heizhaus für den Schulkomplex: trotz Holzverkleidung und offensichtlicher Bemühungen um bauliche Details, bleibt eine Hinterhofsituation an der Hauptstraße zurück. Vielleicht helfen Baumpflanzungen. Das neue Hallenbad mit zugehörigem Parkdeck ist dagegen sehr gelungen. Die Baukörper staffeln sich wirkungsvoll vor der Kulisse des Stadtwaldes. Es sind moderne Stahlskelettbauten mit gelben und weißen Fassadenelementen, aufgelockert durch Glasflächen. Mit spannender Funktionalität: Beim Sommerfest der Musikschule erklangen vom obersten Parkdeck aus Fanfaren.

Wie am Anfang des Rundgangs gibt es zwei Optionen: Eintauchen in die blaue Wasserwelt, um nach dem Spaziergang abzukühlen, oder gemütlich essen gehen im "Parwan" und afghanische Gerichte probieren. Klangvolle Namen wie "Borani Banjan" oder "Goscht Sabzi" versprechen exotische Zutaten und orientalische Gewürze. Dazu ein Weißbier. Von weitem lassen sich die blauen Lichtspiele am Eingang des Hallenbades ahnen. Eine Oase in Geretsried.

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