Stimmungsvoller Musiksommer am Walchenseekraftwerk:Sonnenaufgang am Kilimandscharo

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Willy Astor eröffnet mit seinen Musikerkollegen Ferdinand Kirner, Nick Flade und Marcio Tubino das neue Festival virtuos. Wortakrobatik gibt's nur kurz zwischendurch

Von Petra Schneider, Kochel am See

Die Turbinen des Walchenseekraftwerks brummen beständig, seit fast hundert Jahren haben sie ihren eigenen Sound. Sie bilden die Hintergrundmusik für ein neues Festival, das am Dienstag Premiere gefeiert hat: "Musiksommer am Walchenseekraftwerk", organisiert von den Lenggrieser KKK-Profis Sabine und Stefan Pfister, präsentiert von Kraftwerksbetreiber Uniper. Die Pandemie lässt die Zügel ein bisschen locker, die angedrohten Unwetter sind vorbeigezogen, und so sitzen 180 Leute auf Stühlen und Bänken unter dem Glasdach auf dem Vorplatz des Informationszentrums. Die meisten Ü 40, alle eingepackt in Regenjacken, manche haben zur Sicherheit noch ein Decke mitgebracht.

Ein Spaziergang am Kochelsee stimmt auf den Musiksommer ein. (Foto: Manfred Neubauer)

Über dem Herzogstand wabern dunkle Wolken, es ist nieselig und kühl, aber immerhin: Nach dem langen und harten Kulturentzug ein richtiges Festival in einer ganz besonderen Atmosphäre, die freilich an einem lauen Sommerabend noch schöner wäre, wenn man in der Pause zum Kochelsee flanieren und auf dem Platz vor der Bühne ohne Maske und Abstand tanzen könnte. Nun, die neue Festival-Location am Walchenseekraftwerk hat auf jeden Fall das Zeug dazu. Und so herrschen am Dienstag Freude und ein bisschen Nervosität.

Das Festival am Walchenseekraftwerk. (Foto: Manfred Neubauer)

Klaus Engels freut sich, "dass wir nach diesen schwierigen Zeiten, Künstlern eine Bühne bieten und der Gemeinde etwas zurückgeben können", sagt der Deutschlandchef von Uniper, die das Wasserkraftwerk auch nach 2030 weiter betreiben wollen und vermutlich mit der neuen Veranstaltungsreihe auf Pluspunkte hoffen. Der Kochler Bürgermeister Thomas Holz freut sich, dass das Festival an einem Ort mit "besonderer Strahlkraft" tatsächlich stattfinden kann. Sabine Pfister sagt, es sei "ein Glückstag" gewesen, als Uniper-Pressesprecher Theodoros Reumschüssel im September völlig überraschend mit der Festival-Idee auf sie zugekommen sei. "Wir waren euphorisiert und frustriert", sagt sie, je nach Inzidenzwert habe die Stimmung geschwankt.

Den Auftakt des neuen Musiksommers hat Willy Astor gestaltet - und zwar nicht, wie ihn viele kennen und schätzen, als Wortakrobat, sondern als Musiker. (Foto: Manfred Neubauer)

Es hat tatsächlich geklappt, und dann steht Willy Astor auf der Bühne, und man merkt ihm an, dass auch er sich erst wieder daran gewöhnen muss, Auge-in-Auge vor dem Publikum zu stehen. Zum Kraftwerksfestival kommt er nicht als Jäger des verlorenen Satzes, sondern mit seinem "Saitenprojekt" "Sound of Islands", das es bereits seit 1994 gibt. Wer den gelernten Werkzeugmacher aus dem Hasenbergl als wortspielenden Spaßmacher kennt, kann ihn am Dienstag von einer anderen Seite entdecken: Als gefühlvollen und virtuosen Gitarristen, der mit seiner Band dichte und differenzierte Klangbilder schafft. Denn nur ein Komödiant zu sein, "das war mir zu eindimensional", erklärt der 59-Jährige, der seit fünf Jahren mit seiner Familie in Schäftlarn wohnt. Er wolle Gefühle in der universellen Sprache der Musik ausdrücken. "Höhenflug" zum Beispiel, ein melancholisches Stück über seine Flucht nach Santorini nach einer schmerzhaften Trennung.

Die Akustik in den hinteren Reihen scheppert am Anfang noch ein bisschen, das Brummen der Turbinen ist bei dem leisen Solostück ziemlich hörbar, wegen des feuchten und klammen Wetters verstimmen sich die Gitarrensaiten leicht.

Aber alles wird gut, spätestens, als sich nach und nach das Quartett vervollständigt: Ferdinand Kirner gehört dazu, den Astor als "einen der gefragtesten Studiogitarristen" vorstellt, Mitglied in der Band bei der Casting-Show "Voice of Germany" und bei Mary Roos. Nick Flade, ein "musikalischer Tausendsassa" (Piano, Keyboard, Bass) und der Brasilianer Marcio Tubino (Percussion, Saxofon). Sie setzen die Kompositionen Astors, der Gitarre an der Volkshochschule gelernt und es zu beachtlicher Virtuosität gebracht hat, wunderbar um. "Kilimandscharo" zum Beispiel, eine Morgenstimmung am höchsten Berg Afrikas: Das Schlagwerk schabt, raschelt, klappert, das Piano setzt mit einem afrikanischen Rhythmus den Herzschlag des Stücks. Die Gitarren zupfen die ersten Sonnenstrahlen hervor, Stimmen und Querflöte verstärken die Melodie eines prächtigen, aufgehenden Tages.

Die Musik kennt keine Grenzen, weder stilistisch noch geografisch: Von Bossa Nova bis Flamenco, von Jazz bis bayerische Volksmusik. Das fröhliche "Ubuntu" zum Beispiel, oder die impressionistische Reise "Nautilus" in die Tiefen der Ozeane, das verträumte "Siracusa" oder die temperamentvollen Flamencos.

Ganz ohne Quatsch geht es freilich nicht bei Willy Astor. Und so überbrückt er die Stimmpausen mit Gags und Wortspielereien: Er habe einmal ein Stück in A-Dur über die italienische Hauptstadt geschrieben, "Romadur - du stinkst vom Kühlschrank bis in Flur". Er erzählt von seiner Begeisterung für die Beatles und für Caterina Valente, der er den "Bossa Valente" gewidmet hat. Pünktlich zum Glockenschlag einer nicht lokalisierbaren Turmuhr gibt es um 22 Uhr das letzte Stück vor der Zugabe, ein mitreißendes "Welthits-Medley": Eine irrwitzige Melange aus dem Titanic-Titelsong, Santana, Pippi-Langstrumpf, Michael Jackson, und das ist längst nicht alles. Da können sich die Zuhörer kaum mehr ruhig halten, sie klatschen begeistert und wippen im Takt. Viel Energie, ganz ohne Turbinen.

© SZ vom 15.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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