Stiftung Kunst und Natur:Mit vielen Worten wachgeküsst

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Auch das Lyrikkarussell dreht sich am Wochenende wieder. Diesmal lesen Mirko Bonné und Ulrike Almut Sandig poetische Texte auf Naturbühnen. (Foto: Manfred Neubauer)

Das neue Literaturfest erweckt den Weiler Nantesbuch aus dem Dornröschenschlaf. Am Konzept lässt sich noch feilen

Von Stephanie Schwaderer, Bad Heilbrunn

"Es gilt das gesprochene Wort." Das Motto steht fett gedruckt im Programmheft des ersten Literaturfests Nantesbuch, zu dem die Stiftung Kunst und Natur am Wochenende eingeladen hat. Doch was bedeutet das gesprochene Wort, wenn fast keiner zuhört? "Wo sind denn die Leute?", fragt eine Frau, die gerade den kostenlosen Shuttleservice genutzt hat und von einem schwarzgewandeten Chauffeur nach Nantesbuch kutschiert wurde. Ein bisschen verloren steht sie in der Hofeinfahrt und schaut sich um.

Es ist Samstagnachmittag. Das Wetter könnte schöner nicht sein. Der Blick ins Karwendel ist spektakulär. Rund um die Häuser und Ställe sind Liegestühle verteilt, einladende Inseln in Schwarz und Weiß. Es gibt Kaffee und Kuchen und kalte Getränke, Feuertöpfe und Festivalbändchen fürs Handgelenk. Und es gibt Lyrik und Lesungen im schieren Überfluss. Das einzige, was fehlt, sind die Gäste. Für die Anwesenden jedoch ist es ein im besten Sinne exklusives Erlebnis.

Vor fünf Jahren hat die Stiftung Kunst und Natur auf dem Nachbarhügel Karpfsee Quartier bezogen, im Langen Haus lud sie viermal zum Moosbrand Literatur- und Musikfest ein. Nantesbuch lag derweil weiter in einer Art Dornröschenschlaf und bot lediglich den Mitarbeitern der Landwirtschaft Unterkunft, die das 320 Hektar große Stiftungsgelände pflegen und renaturieren. Für dieses Wochenende mussten sie Scheune und Fahrzeughalle räumen und einer Schar von Technikern Platz machen. Zum neuen Literaturfest präsentieren sich die alten Gebäude nun nicht nur maßvoll herausgeputzt. Die Einstellhalle erweist sich gar als lichtdurchflutete Spielstätte mit eigenwilligem Charme.

"Die Mischung wird es machen"

Geschäftsführer Börries von Notz kommt über den weitläufigen Hof geschritten und strahlt Zufriedenheit aus. Gerade habe er im "Garten Bellevue" eine Lesung von Marcel Beyer besucht. "War sehr schön", sagt er. Als Festivalgelände würde Nantesbuch 500, 600 Leute vertragen, schätzt er. "Wenn man das will." Bei der Beyer-Lesung seien sie eben zu sechzehnt gewesen. "Das war eine ganz intime, intensive Atmosphäre." Der Stiftung gehe es gerade darum, Erfahrungen zu sammeln. "Wo sind die Kraftorte? Wo funktioniert was?" Ganz behutsam wolle man mit diesem besonderen Flecken Erde umgehen, ausprobieren, welcher Ort und welches Gebäude sich bespielen lasse. "Und wir sehen gerade: Es funktioniert schon sehr viel." Wird es in Nantesbuch also doch nicht wie ursprünglich geplant einen Neubau für die Kunstsammlung der Stiftung geben? Notz zögert einen Augenblick. "Die Mischung wird es machen."

Das Festival-Programm, das Hans von Trotha zusammengestellt hat - eine Fülle von Veranstaltungen zum Thema "Rückkehr der Mündlichkeit" in Literatur, Medien und Debatten - funktioniert zumindest an diesem Samstag nur bedingt. Die vielen Parallel-Angebote entziehen sich gegenseitig das Publikum. 50, 60 Menschen verlieren sich auf dem Gelände im Handumdrehen. Umgekehrt kommen manche Besucher geradezu in Stress. "Ich musste mich eben zwischen zwei Lesungen entscheiden, die mich beide interessiert hätten", klagt eine Münchnerin. "Das hat mir zu wenig Struktur."

Auch den Weg zur Pfister-Lichtung nimmt fast keiner auf sich. Wer es doch tut, kann sich im Wald in einen Liegestuhl legen, den Blick durch die Baumkronen schweifen lassen und über Kopfhörer Thea Dorns Stimme lauschen. Das ist toll, aber noch lieber würde man ihr in echt zuhören, mit den Geräuschen des Waldes im Hintergrund, und diesen Moment mit ihr teilen.

... Autorin und Literaturkritikerin Thea Dorn. (Foto: N/A)

"Wie Badewanne und Wetter"

Die Frage, welche Bedeutung dem gesprochenen Wort in den verschiedenen Medien zukommt, wird an diesem Tag aus vielen Perspektiven und von vielen klugen Köpfen beleuchtet. Zu einer aufrüttelnden Lehrstunde gerät ein Podiumsgespräch über den Podcast. Zwei Profis, Roman Neumann und Wiebke Porombka, wollen sich darüber mit Jürgen Kuttner austauschen. Der legendäre Radio-Moderator aus Ost-Berlin jedoch sprengt das Konzept von der ersten Minute an. "Podcast - interessiert mich nicht", schnoddert er. "Mich interessiert die Unmittelbarkeit." Podcast und Radio, "das ist wie Badewanne und Wetter". Richtig in Fahrt bringt ihn das Stichwort Demokratisierung. Podcasts seien "die Abschaffung von Demokratie", donnert er. Dahinter stehe der zersetzende Gedanke "Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht". Die Leute im Publikum lauschen gebannt bis zur letzten Minute und steuern dann diskutierend die Bar an. Nach diesem Auftritt wirkt selbst die T. C.-Boyle-Lesung mit Anna Thalbach und Daniel Sträßer etwas blass. Der Gesprächsstoff für den Abend ist jedenfalls gesichert.

© SZ vom 27.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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