Spannende Kunstschau:NeuGier mit Gästen

Lesezeit: 3 min

Manche Werke, die bei der Lenggrieser Kunstwoche gezeigt werden, sind surreal oder wirken hypnotisch. Andere sind dagegen allzu schnell durchschaut

Von Thekla Krausseneck, Lenggries

Surreal wirken sie, diese aufrecht stehenden Löwenzahnschirme. Ihre winzigen Samen stecken in einem Fotokarton, in exakt berechneten Abständen zu einem auf der Spitze stehenden Quadrat angeordnet. Kein Schirmchen steht krumm. Keines kippt aus der Reihe. In akribischer Detailarbeit hat die mathematikbegeisterte Künstlerin Andrea Mähner das Bild zusammengesetzt, ausgestattet mit einer Pinzette, einer Nadel, Kleber und einer unendlicher Geduld. Das Werk trägt nun den Titel "Stillgestanden!" und ist neben anderen Präzisionswerken der Wolfratshauserin in einer Ausstellung der Künstlervereinigung Lenggries zu sehen. Die Schau findet zum 15. Mal statt und trägt heuer den Titel "NeuGier". Mähner ist unter den jährlich wechselnden Gästen und ein Highlight in einer sehenswerten Ausstellung, die jedoch Höhen und Tiefen hat.

Jürgen Dreistein zeichnet die Neugier. (Foto: Harry Wolfsbauer)

"Der flüchtige Blick und die oberflächliche Begegnung entdecken niemals etwas Neues", sagt Günter Unbescheid, Vorsitzender der Künstlervereinigung. Neugier bedeute, sich mit Menschen und Schicksalen auseinanderzusetzen und sie so ins Licht zu holen. Die Fotos des gebürtigen Düsseldorfers zeigen Flüchtlinge: Ein Afghane im blauen Pulli, überlagert von einer Collage schwarz-weißer Fotos, die Szenen zeigen, wie dieser junge Mann sie erlebt haben könnte. Daneben eine Frau mit Kopftuch: Das Porträt ist so finster, dass sie fast verschwindet. Nur die Augen - "Sitz der Seele", sagt Unbescheid - strahlen weiß und intensiv. An diesen Anblick werden sich Betrachter noch lange erinnern: Unbescheids Fotografien sind nicht nur von hoher Qualität, sie zeigen auch das Ergebnis einer tief greifenden Auseinandersetzung des Künstlers mit seinem Thema.

Gabi Pöhlmann bemalte Flaschenpost. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Mit diese Qualität können nicht alle Teilnehmer der Ausstellung mithalten. Die Malerin Gabi Pöhlmann hat sich ebenfalls das Thema Flüchtlinge ausgesucht: Im Foyer stehen ihre Vitrinentische, in denen mit Wunschzetteln gefüllte Flaschen in Sand liegen. Die Flaschenpost haben Flüchtlinge geschrieben, manche in ihrer Landessprache, andere auf Deutsch. Pöhlmann will mit ihrem Werk eine Verbindung herstellen zwischen der Neugier und dem Wunsch nach verbesserten Lebensverhältnissen. Eine Botschaft, die allzu schnell klar ist und dem Betrachter wenig Anlass zum Verweilen gibt. Ganz ähnlich die Werke des Architekten Paul Schwarzenberger. Dieser möchte Neugier wecken, indem er Fotos, die ihm begegnen, "zu völlig unvermuteten neuen Aussagen" kombiniert. Über die sollen seine Betrachter nachdenken - also etwa über eine Erdkugel in einem Orangennetz oder einen Rollstuhlfahrer auf einem Berggipfel. Das hat den Flair von Gesellschaftskritik, kommt insgesamt aber ein wenig flach daher.

Günter Unbescheid fotografierte Flüchtlinge. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Auch die zwei Meter hohen Zeichnungen des Grafikers Jürgen Dreistein wollen gesellschaftskritisch sein. Der Vierteiler ist mit das erste, das ein Besucher wahrnimmt, der den Ausstellungssaal im katholischen Pfarrheim betritt: Aus diffusem blauem Licht tauchen Schattengestalten hervor, die einen haben Augen, die anderen große Münder, eine Figur besitzt ein großes Ohr. Die vierte Gestalt, die ein wenig abseits hängt, hält ein Smartphone fest. Die Neugier als Motor aller Neuerungen werde heute durch die Sucht nach Newspartikeln betäubt, beschreibt Dreistein sein Werk; eine neue Information halte sich gerade so lang im Gedächtnis wie eine Wischbewegung auf dem Smartphone. Diese Vision von der Zukunft der Neugier ist allzu düster, sie fußt auf einer pessimistischen Wahrnehmung der Gegenwart.

Die neue Ausstellung der Lenggrieser Künstlervereinigung behandelt das Thema Neugier. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Fesselnd sind die Fotografien Heidi Gohdes. Im Zentrum hängt ein schillernd goldenes Netz, wie es eine Spinne gewebt haben könnte. Wer dem Bild ein wenig Zeit gibt, erkennt, dass es sich um gesprungenes Sicherheitsglas handelt. Andere Fotografien sehen aus wie gemalte Farblandschaften - Motive,die Gohde im Atelier des Künstlers Herrmann Nitsch auf einer am Boden liegenden Folie entdeckt hat. Hie und da vermischen sich blaue und rote Farbflecken im Abdruck eines abgestellten Eimers. Das Ergebnis ist hypnotisch.

Die leuchtendsten Akzente der diesjährigen Ausstellung setzen die Gäste der Künstlervereinigung, zu denen die Wolfratshauserin Mähner zählt. Ihre Papierwürfel stehen im Ausstellungsraum auf weißen Säulen unter Plexiglas. Manche sehen aus wie mit roten Streifen bedruckt. Es lohnt sich auch hier, genauer und länger hinzusehen: Denn was gedruckte Farbe zu sein scheint, ist in Wirklichkeit ein makelloses Stickmuster - aus Menschenhaar.

Ausstellung bis 1. Oktober, Pfarrheim Lenggries

© SZ vom 18.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: