Seelischer Beistand:Psychische Ersthilfe

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Heiner Brunner, Leiter des Kriseninterventionsteams. (Foto: oh)

Das Kriseninterventionsteam der bayerischen Bergwacht kümmert sich um Angehörige und Begleiter von Menschen, die in den Bergen verunglücken

Von Benjamin Emonts, Lenggries

Es sind mit die schlimmsten Szenarien, die man sich ausmalen kann. Der Ehepartner oder ein Angehöriger ist plötzlich nicht mehr erreichbar nach einer Wanderung über die Alpen und gilt als vermisst. Oder der Freund stürzt unmittelbar vor den eigenen Augen ab und verunglückt.

In derartigen Extremsituationen steht den verzweifelten Angehörigen das Kriseninterventionsteam der bayerischen Bergwacht zur Seite, der sogenannte Kriseninterventionsdienst am Berg. Das KID unterstützt die Betroffenen, es hilft, traumatische Eindrücke und Erlebnisse zu verarbeiten und sich emotional zu stabilisieren. "Wir leisten psychische erste Hilfe", sagt Heiner Brunner, der das Kriseninterventionsteam leitet. Das ehrenamtliche Team engagiert sich seit mittlerweile 19 Jahren in Bayern.

Auch in diesen Tagen kam es wieder zum Einsatz, in einem Fall, der bayernweit Aufsehen erregt. Der Kanadier Jeff David Freiheit, ein erfahrener Wanderer, ist immer noch spurlos verschwunden: Er wird vermisst, nachdem er am Brauneck zu einer Wanderung über die Alpen bis nach Venedig aufgebrochen war. Das Kriseninterventionsteam kümmerte sich kurzzeitig um dessen Angehörige, die aus Kanada am Brauneck angekommen waren. Nach Angaben des Tölzer Polizeichefs Bernhard Gigl erklärten die Helfer den Angehörigen, wieso die große Suchaktion mit mehr als 100 Beteiligten, einer Hundestaffel und einem Drohnenteam der Penzberger Bergwacht inzwischen vorläufig unterbrochen wurde. Nach Ansicht der Lenggrieser Bergwacht sei die Suche im großen Stil nicht länger sinnvoll, nachdem alle erdenklichen Mittel ausgeschöpft seien und keine konkreten neuen Hinweise vorlägen. So etwas den Angehörigen zu erklären, "ist schwierig", sagt Brunner.

Pro Jahr rücken die Ehrenamtlichen im Durchschnitt zu 120 bis 140 Einsätzen aus, sie haben es jährlich mit 70 bis 85 Todesfällen zu tun. Im gesamten Freistaat umfasst das Kriseninterventionsteam der Bergwacht 72 ehrenamtliche Mitglieder. Sie werden alarmiert bei Unfällen mit Todesfolge, Abstürzen mit schweren Verletzungen, Suizid im alpinen Bereich, Lawinenunglücken und Vermisstensuchen. "Immer dann, wenn Angehörige, Freunde, Tourenpartner oder Augenzeugen bei einem Unglück betroffen und mit der Situation überfordert sind", sagt Brunner.

An der Unfallstelle leisten die Einsatzkräfte psychische Soforthilfe. Gemeinsam mit den Betroffenen suchen sie nach Wegen, um die Extremsituation zu überstehen. "Die meisten Menschen haben gute Ressourcen, mit denen sie schwierige Lebenssituationen überstehen können, aber in dieser schwierigen Situation sind sie häufig nicht abrufbar. Man versucht dann, diese Ressourcen zu aktivieren." Eine andere zentrale Aufgabe des KID besteht darin, die Betroffenen über jeden einzelnen Schritt der Rettungsaktion oder - wie im Fall des Kanadiers - auch über deren Abbruch genau aufzuklären.

Da die Angehörigen oder Bekannten der Verunglückten meist weit entfernt leben, versucht das KID, schnellstmöglich deren soziales Netz zu aktivieren und ein gewohntes vertrautes Umfeld aufzubauen, das ihnen hilft, die traumatischen Erlebnisse besser zu verkraften. Bei schweren Verletzungen begleiten sie Angehörige auch ins Krankenhaus während der ersten Stunden nach dem Unfall. Die Einsätze des KID dauern in der Regel vier bis fünf Stunden.

"Mit die schwierigsten Situationen sind Vermisstensuchen", sagt Brunner. Die Hoffnung der Angehörigen bleibe immer. "Es ist für die meisten leichter zu akzeptieren, wenn jemand umgekommen ist, als zu akzeptieren, dass jemand vermisst ist." Die Kriseninterventionsausbildung der Bergwacht umfasst 110 Unterrichtseinheiten und nachfolgend eine einjährige Hospitanzzeit. Die Einsatzkräfte verhielten sich im Umgang mit den Angehörigen weitestgehend neutral, betont Brunner. "Es steht uns nicht zu, irgendwelche Hoffnungen zu wecken." Dass ein in den Bergen Vermisster nach drei Wochen noch am Leben ist, sei unwahrscheinlich, sagt Brunner. In seinen 32 Jahren bei der Bergwacht habe er das noch nicht erlebt.

© SZ vom 25.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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