Rückblick 2021:Gesundheit als Gewinnmaxime

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Pläne, für die Wolfratshauser Kreisklinik mitten in der Pandemie einen privaten Investor zu finden, haben Proteste im ganzen Landkreis ausgelöst. Nun bleibt das Krankenhaus vorerst in kommunaler Hand

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Es ist vielleicht die beste Nachricht des gerade zu Ende gehenden Jahres 2021 für den Nordlandkreis: Die Kreisklinik Wolfratshausen bleibt in öffentlicher Trägerschaft. So hat es der Kreistag Ende Juli beschlossen. Dass er damit dem Willen der Bevölkerung entsprochen hat, war in den Wochen zuvor deutlich geworden. Pläne, die Klinik an einen privaten Investor zu vergeben und zu einem "Gesundheitscampus" zu verschlanken, hatten heftige Proteste ausgelöst, nicht nur bei Mitarbeitern, sondern auch bei den Städten Wolfratshausen und Geretsried, zahlreichen anderen Kommunen, vielen Bürgern und Lokalpolitikern.

Die Überlegungen stammten von der Berliner Vicondo Health Care GmbH, einer aufs Filetieren von Krankenhäusern spezialisierten Unternehmensberatung, die der Landkreis beauftragt hatte, die defizitäre Kreisklinik ins Visier zu nehmen. Ihr Fazit: Ein "Weiter so" sei keine Option. An der Kreisklinik seien "zahlreiche Risiken identifiziert und aufgezeigt" worden, "die den Standort ohne Veränderung zukünftig massiv bedrohen". Die Kreisklinik habe 2019 nur 26 Prozent des errechneten Marktpotenzials im Landkreis erreicht, die 160 Betten seien nur zu 69 Prozent ausgelastet. Bemängelt wurden sinkende Fallzahlen, schwächelnde Erlöse und eine überdurchschnittlich lange Verweildauer nicht mehr lukrativer Patienten. Die daraus abgeleiteten empfohlenen Zukunft-Szenarien sahen vor, die stationäre Behandlung in Wolfratshausen weitgehend abzuschaffen. Die Klinik sollte etwa in einen "Gesundheitscampus" überführt werden - mit einem tagsüber tätigen Bereitschaftsdienst, Kurzzeitpflege und Ähnlichem, telemedizinisch angebunden an die "Zentralklinik" in Bad Tölz, die ihre Bettenzahl erweitern sollte. Dort sollten alle stationären Bereiche gebündelt werden.

Die Studie, die eindrucksvoll aufzeigte, was es heißt, wenn Krankenhäuser aus rein ökonomischer Perspektive in Hinblick auf ihr Gewinnpotenzial in einem kompetitiven Marktumfeld betrachtet werden, gelangte mitten in der Pandemie an die Öffentlichkeit. Beabsichtigt war das von den politisch Verantwortlichen nicht. Landrat Josef Niedermaier (Freie Wähler), der sich der Brisanz solcher Szenarien bewusst war, hatte zuvor streng darauf geachtet, dass sie nicht nach außen drangen. Diskutiert worden waren sie nur im kleinsten Kreis - in einem Lenkungsausschuss des Kreistags und im Aufsichtsrat der Klinik.

Dass der Landrat und Klinik-Geschäftsführer Ingo Kühn in einer Mail an die Krankenhaus-Belegschaft von einem "ergebnisoffenen Prozess" sprachen, änderte nichts an der Entrüstung, die derlei Pläne auslösten. Es gab Mahnwachen vor der Klinik und eine Großdemo auf dem Wolfratshauser Marienplatz. Die Stadträte von Wolfratshausen und Geretsried verabschiedeten einstimmig eine gemeinsame Resolution, dass die Kreisklinik erhalten werden müsse. Solche gab es auch aus vielen anderen Gemeinden im Einzugsgebiet, von Eurasburg über Schäftlarn bis Straßlach-Dingharting.

Niedermaier, der die Privatisierungspläne zunächst noch verteidigt hatte, zog den geplanten Beschluss zur Suche nach einem "strategischen Partner" für die Klinik dann im Mai zurück. In der "aufgeheizten Stimmung" sei dieser nicht möglich, befand der Landrat auf einer von Protesten begleiteten Kreistagssitzung und verhängte stattdessen ein "Diskussionsmoratorium". Doch auch danach musste er heftige Angriffe über sich ergehen lassen, unter anderem vom Geretsrieder Bürgermeister Michael Müller (CSU). Dieser warf dem Landrat, nachdem er nicht zur Bürgerversammlung im Juni erschienen war, schlechte Manieren und Feigheit vor.

Seit dem Kreistagsbeschluss zum Verbleib in kommunaler Trägerschaft vom 26. Juli ist ein Verkauf der Kreisklinik vom Tisch - zumindest vorläufig. Allerdings sollen weitere Kooperationspartner gesucht werden, ähnlich wie bei der Geburtshilfe, die schon vom Klinikum Starnberg betrieben wird. Diese seien unabdingbar für einen wirtschaftlichen Betrieb der Klinik, sagt Niedermaier. Dass der Erhalt kleiner Krankenhäuser durch gesetzliche Vorgaben, komplizierte Finanzierungsregeln und andere regulatorische Maßgaben wissentlich erschwert werde, um den auf Bundesebene gewollten Strukturwandel zugunsten großer Häuser voranzutreiben, hatte der Landrat schon im Mai in einem Schreiben an die Klinikmitarbeiter betont. Die Maxime, dass auch Krankenhäuser in kommunaler Trägerschaft unbedingt Gewinne erzielen müssen, tragen viele Landkreisbürger allerdings nicht mit. Eine gute Gesundheitsversorgung dürfe auch Geld kosten, hatte der Wolfratshauser Bürgermeister Klaus Heilinglechner anlässlich der Resolution mit Geretsried erklärt. Ein Defizit von 1,8 Millionen jährlich entspreche 30 Euro pro Landkreisbürger. "Das darf es uns wert sein." Dass viele Menschen genauso denken, haben die Demonstrationen für die Kreisklinik gezeigt.

© SZ vom 28.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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