Rezension:Inklusionstheater ohne Inklusion

Lesezeit: 2 min

Nicht-Behinderte bleiben den "Malonen" fern

Von Sabine Näher, Geretsried

Vor etwa 40 Zuschauern geht das Theaterstück über das geheimnisvolle Land der Malonen am Sonntagmittag im Pfarrsaal der Heiligen Familie in Geretsried über die Bühne. Ohne Texthänger, mit einem aufmerksamen Publikum, das am Ende nicht am Beifall spart.

Trotzdem ist Ulla Haehn, die pensionierte Volksschullehrerin und Mitglied bei der Komischen Gesellschaft in Bad Tölz, wo sie als Regisseurin mit besonderer Leidenschaft integrative Theaterprojekte fördert, einerseits glücklich, andererseits auch nicht. Denn nach der erfolgreichen Aufführung des Theaterstücks "Ein märchenhafter Kriminalfall" vom vergangenen Jahr sollten auch heuer wieder Schauspieler mit und ohne Behinderung gemeinsam auf der Bühne stehen. "Aber leider konnten wir keine Menschen ohne Behinderung dafür gewinnen", erzählt sie mit leisem Bedauern. Um sofort nachzuschieben: "Ich sage das nicht als Vorwurf, denn es ist ein Spiegel unserer Realität. Inklusion wird zwar immer eingefordert, aber es ist nicht so leicht, das auch umzusetzen." Sie hoffe, dass die Zuschauer den Theaterbesuch als Anstoß nehmen, sich künftig mehr darauf einzulassen, in Gemeinschaft zu leben.

Und damit sind wir bei der Kernidee des Stücks. Die Geschichte der Malonen wird der Autorin Christine Mühlberger zugeschrieben, doch Haehn weist drauf hin, dass der Stoff seit langer Zeit schon mündlich tradiert werde und wohl aus dem Volksgut stamme. Er handelt von dem Land Malon, das hinter so hohen Bergen liegt, dass die Bewohner niemals die Sonne sehen.

Während Haehn am Rande der Bühne sitzend die Handlung erzählt, stellen die zwölf Akteure - der jüngste ist 14, die älteste 60 - die Szene dar. Die dunklen Berge werden von gezackten Stoffbahnen illustriert, die einen bedrohlichen Bühnenhintergrund abgeben. Vor diesem wird das traurige Leben der Malonen gezeigt: In der immerwährenden Dunkelheit sind sie misstrauisch und feindselig geworden; verbale und tätliche Auseinandersetzungen werden vorgeführt. "Jeder lebt für sich und verkriecht sich in sein Haus", erzählt Haehn. Da rollt jeder Darsteller eine Stoffbahn vor sich aus, was die Abkapselung anschaulich demonstriert.

Doch plötzlich tauchen zwei Wanderer auf und erzählen von der Sonne. Da kommt Bewegung in die Malonen, sie gesellen sich zueinander und lassen sich immer wieder von der unbekannten Sonne erzählen. Währenddessen schweben bunte Papiervögel über das dunkle Gebirge; die Akteure tragen Blumen über die Bühne, die ihre Sehnsucht nach Licht und Wärme illustrieren. Des Alleinseins müde errichten sie ein großes Gemeinschaftshaus. Und täglich fassen sie sich an den Händen und vollführen einen Sonnentanz. Dazu singen sie "Sonne, liebe Sonne, hell und wunderschön ..." Und ihre geballte Sehnsucht lässt ein Wunder geschehen: Plötzlich wird es ungewohnt hell. "Sie umarmten einander, lachten, jubelten und tanzten", liest Haehn vor. Und ihre Darsteller setzen diese Freude anschaulich um. "Das Land Malon wurde hell. Die Sonne hat es in ein Land der Freude verwandelt", so schließt die Geschichte. Freude zeigen auch die Schauspieler, die ihre Spielleiterin umarmen. "Ich lasse mich von eurer Begeisterung immer wieder gerne anstecken", sagt diese lächelnd und teilt Glückskäfer an alle Mitwirkenden aus, "um was von meinem Glück zurückzugeben".

Die Projektidee hatten Regine Koehl, die Mitglied im Geretsrieder Arbeitskreis für Menschen mit Behinderung ist, und Michael Baindl, der als Seelsorger für Menschen mit Behinderung im Dekanat Wolfratshausen tätig ist. Beide standen mit auf der Bühne und wirken nach der erfolgreichen Premiere ebenso glücklich wie die Regisseurin. Einerseits - wie gesagt. Über die Publikumsresonanz freuen sich dagegen alle uneingeschränkt. "Es wurde ja nicht groß beworben, insofern bin ich positiv überrascht vom großen Interesse", meint Haehn - und muss gleich Auskunft geben, wann und wo die nächste Probe stattfinden soll. Denn es stehen ja noch vier Aufführungen aus.

Aufführungen: 9. Juli, 15 Uhr, Saal des Altersheims St. Hedwig, 12. Juli, 18 Uhr, Pfarrsaal Petruskirche, 16. Juli, 14.30 Uhr, Alte Madlschule Bad Tölz, 23. Juli, 11.30 Uhr, Pfarrsaal Petruskirche. Eintritt frei

© SZ vom 04.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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