Wo die vier Elemente aufeinandertreffen, kracht, blitzt, donnert, stürmt, spritzt, schäumt und hagelt es - alles in Bewegung, nichts bleibt an seinem Platz. Vier Tage "Moosbrand Literatur- und Musikfest" könnten unter Umständen ähnliche Effekte zeitigen, wenn literarisches Urgestein - Michael Krüger und Hans Magnus Enzensberger - auf junge Sprachakrobatik trifft. Von Donnerstag, 13. September, bis Sonntag, 16. September, kann man sich im Langen Haus der Stiftung Nantesbuch inspirieren lassen. Im Fokus steht das Thema "Wetter, in dem sich die Elemente vereinen".
Mit der Ausgestaltung dieses Themenschwerpunkts verbindet das Fest die zwei Aspekte, die auch in der 2012 gegründeten Stiftung Nantesbuch das Programm bestimmen: Kunst und Natur - und der Mensch, der sich darauf einlässt. Auch das Wort "Moosbrand" spielt darauf an. Unter diesem Namen erschien in den Neunzigerjahren eine Berliner Literaturzeitschrift, herausgegeben von Lutz Seiler und Klaus Michael. Dort sollte die Position des Menschen zwischen Natur und Zivilisation bestimmt werden. Doch was hat Kunst damit zu tun?
"Kunst hat die Fähigkeit, zu sensibilisieren, genau hinzuschauen und zu beobachten, Fragen zu stellen andere Sichtweisen anzuregen." Literatur und Musik als Brennspiegel der Wirklichkeit und anregende Kraft: Darin liegt für Brigitte Labs-Ehlert, Kuratorin des Fests, die Bedeutung künstlerischer Auseinandersetzung mit der Natur-Wirklichkeit. Tatkräftig wirken könne Kunst nicht, sensibilisieren schon. Wo gelänge das besser als in Nantesbuch? Die Kombination aus rauer Voralpennaturschönheit und hochkarätig besetzten Lesungen, Gesprächen und Konzerten verspricht einzigartige Erlebnisse mit Tiefenwirkung.
Für das Programm wurden Titel gefunden, die sich als nüchterne Aussagen verstehen lassen - die Ausgestaltung folgt in der Veranstaltung selbst. Die Zeilen drücken aber immer auch die Unbeständigkeit aus, die das Wetter als unverfügbare Naturgewalt ausmacht. "Die Welt in der Schwebe" steht daher als Titel der Auftaktveranstaltung über dem Programm. Dabei trifft Michael Krüger, lange Jahre Chef des Münchner Hanser-Verlags, Lyriker und Übersetzer, auf Maximilian Zahn und Felix Reinstadler. Die beiden Jungschriftsteller waren im vergangenen November Teil der "Meisterklasse der Lesenden Künste" im Langen Haus, als es darum ging, das naturnahe Schreiben der dänischen Lyrikerin Inger Christensen zu entdecken. Am Donnerstagabend lesen sie eigene Texte, bevor Sebastian Vogel und Thomas Kürstner ihre Komposition "det / das" präsentieren.
Präsentiert die Erzählung "Derborence" von Charles-Ferdinand Ramuz: Schauspieler Matthias Brandt.
Die Schauspielerin und Regisseurin ("Vor der Morgenröte") Maria Schrader vertont mit musikalischer Begleitung Jan Fosses "Ich bin der Wind".
Gehört längst zu den Klassikern deutscher Nachkriegsliteratur: Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger liest am Sonntag aus "Die Geschichte der Wolken".
Mit "Der Regen blieb aus" wird deutlich, welche aktuelle, auch politische Relevanz die Beschäftigung mit Wetterphänomenen besitzt. Da gehe es immer auch um gesellschaftliche Fragen, sagt Labs-Ehlert - die Folgen anhaltender Dürre wurden dieses Jahr einmal mehr spürbar. Shenja Lacher und Robert Stadlober lesen Texte zu Regen und Feuer; Ludwig Fischer und Jürgen Goldstein, die sich literaturwissenschaftlich und philosophisch mit der Konstruktion des Natur- und Kultur-Begriffs auseinandergesetzt haben, sprechen miteinander. Das Programm eröffnet so auch die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Anknüpfung.
Die 1934 erschienenen Erzählung "Derborence" des französischsprachigen Schriftstellers Charles-Ferdinand Ramuz ist ein Glanzstück der Schweizer Literatur. Ausgangspunkt der Handlung ist die Naturkatastrophe eines Bergsturzes im Wallis. Matthias Brandt interpretiert den Text, in dem die Ohnmacht des Menschen angesichts der Naturkräfte im Zentrum steht, gemeinsam mit dem Percussionisten Simone Rubino.
Dass die Natur auf kreative Weise auch als Zeichensystem verstanden werden kann, zeigen die Schriften des Philosophen Roger Caillois, so etwa "Die Schrift der Steine". Silke Scheuermann liest aus ihrem Gedichtband "Skizze vom Gras". Das Cembalo-Duo A & A bringt die Luft mit Musik von Lully bis Ligeti zum Schwingen, ehe zwei Lesungen das Publikum an bedeutungsgeladene Naturorte entführen: Esther Kinsky beschwört den "Hain", Ulrich F. Brandhoff lässt den brüchigen Deich des "Schimmelreiters" hörbar werden.
Mit einer Lesung aus seiner "Geschichte der Wolken" erinnert Hans Magnus Enzensberger an die Flüchtigkeit, die Wetter und menschliches Leben verbindet. "Ich bin der Wind" des norwegischen Autors Jan Fosse greift diese Perspektiven auf; es liest Maria Schrader mit musikalischer Kommentierung durch Gitarre und Fagott. Und vielleicht wird das als letzter Eindruck bleiben, nach vier Tagen Beschäftigung mit Mensch und Natur, wenn man sich vor dem Langen Haus neben Markus Lüpertz' Daphne stellt, den Blick auf den Berg gerichtet: ein neues Bewusstsein, bescheidener womöglich.