Reichersbeuern:Gesellschaftskritik als Krimi

Lesezeit: 2 min

Unternehmer Arthur Birling (Philippe Ziegler), das Mädchen (Caroline Wolf) und Sheilas Verlobter (Robin Schröter). (Foto: Manfred Neubauer)

Der Oberstufenkurs des Max-Rill-Gymnasiums spielt Priestleys "Ein Inspektor kommt" anspruchsvoll, einfallsreich und leicht aktualisiert

Von Petra Schneider, Reichersbeuern

Vor der Probe am Montagabend wirkt Nikolaus Frei ein bisschen nervös. Auch seine Schauspieler seien aufgekratzt, sagt der Regisseur. Noch drei Tage sind es bis zur Premiere, den ganzen Tag haben sie geprobt und Plakate geklebt. Die Nervosität ist unbegründet. Denn was die Schüler des Oberstufenkurses Theater in den vergangenen Monaten erarbeitet haben, ist großartig: Ein anspruchsvolles Stück, tolle schauspielerische Leistungen, eine einfallsreiche Inszenierung - so, wie man das von den Produktionen des Max-Rill-Gymnasiums inzwischen gewöhnt ist. "Ein Inspektor kommt" heißt das Stück des britischen Autors John B. Priestley. Es geht um soziale Verantwortung und Strategien der Verdrängung, um die Diskrepanz zwischen Selbstentfaltung und Konformitätsdruck.

Aktuelle Themen und Fragen, die in einem Drama aus dem vorigen Jahrhundert gestellt werden: 1944 schrieb Priestley das Stück und siedelte die Handlung im Jahr 1912 an, als Kapitalismus und Fortschrittsglaube blühten. Antiquiert wirkt das Stück aber keineswegs. Schon nach den ersten Minuten entwickelt es einen unwiderstehlichen Sog. Das liegt zum einen an der Handlung, die wie ein Krimi daherkommt und den Zuschauer mit einem rätselhaften Schluss entlässt.

Das liegt aber auch an den Schauspielern; dass sie erst 17, 18 Jahre alt sind, vergisst man sofort. Ihr Spiel ist konzentriert und erzeugt eine intensive Spannung. Allen voran Philippe Ziegler als kaltschnäuziger Kapitalist Arthur Birling, der sich wie seine standesbewusste Frau Sybil (Antonia Angermair) vor allem um seinen Ruf in der Öffentlichkeit sorgt. Tochter Sheila (wunderbar einfühlsam: Sophia Kraus), der labile Sohn Eric (Leon Becker)und Sheilas Verlobter Gerald (Robin Schröter) sollen in die Fußstapfen der Eltern treten und das System aufrechterhalten.

In diese großbürgerliche Welt platzt die Polizeibeamtin Goole (Katharina Roitzheim), die Ermittlungen im Fall Eva Smith (Caroline Wolf) anstellt. Offenbar tragen alle Mitschuld am grausamen Selbstmord des einfachen Mädchens - eine Verantwortung, mit der die Familienmitglieder unterschiedlich umgehen. Der Aufbau des Dramas ist straff: Es spielt an einem einzigen Abend ausschließlich im Esszimmer der Familie Birling, und es gibt keine Nebenhandlungen. Das Bühnenbild, von Schülern des Theaterseminars gestaltet, ist schlicht: Langer Esstisch, Möbel im Empirestil, an den Wänden üppige Tapeten.

Den Text haben Frei und seine Schüler in eine zeitgemäße Form gebracht: Einiges gekürzt, die moralinsauren Passagen entschärft und philosophische Reflexionen zum Neoliberalismus als Zwischenmonologe eingefügt. In der Originalfassung erscheint das Mädchen Eva nicht auf der Bühne, in der Inszenierung von Frei ist sie ständig präsent - als stumme Anklage. Eva übernimmt die Zwischenmonologe, epische Elemente, die wie bei Brecht zur Reflexion anregen sollen. Sie sind unterlegt mit düsterer Pink-Floyd-Musik.

Viel haben die Schüler über das Stück, das Frei noch aus seiner Schulzeit kennt, in den vergangenen Monaten diskutiert. "Die Frage nach Verantwortung und Schuld, das spricht doch jeden an", findet Philippe Ziegler. Die Botschaft des Stücks laute: "Wir leben in einer Gesellschaft, in der jeder perfekt funktionieren muss. Wer nicht den Normen entspricht, wird gebrochen." Theater, das sei eine Möglichkeit, sich selbst und andere ganz anders kennen zu lernen, sagt Sophia Kraus. "Man zieht dabei seine Seele aus." Auch wenn die vielen Proben so kurz vor dem Abitur "grenzwertig" seien, wie Katharina Roitzheim anmerkt. In der Lebenswirklichkeit seiner Schüler sieht Frei Parallelen zum Stück: Der Zwang zur Selbstoptimierung, Leistungs- und Konkurrenzdruck, das beginne doch schon in der Schule. "Furchtbar, wie Kinder im G 8 in Startposition gebracht werden und sich der Staat zum Handlanger der Wirtschaft macht."

Seit zehn Jahren macht der promovierte Literaturwissenschaftler Theater an der Max-Rill-Schule. Voriges Jahr war der 41-Jährige selbst als Schauspieler in der Kinoproduktion "About a Girl" zu sehen, voraussichtlich noch heuer läuft "Die Leidenschaft der Marie Curie" an. Schauspielen macht ihm Spaß, aber auf das Schultheater will er nicht verzichten. "Wenn meine Schauspieler nach dem Abitur gehen, dann bin ich jedes Mal traurig."

"Ein Inspektor kommt", Premiere, Donnerstag, 28. Januar, Max-Rill-Gymnasium, Reichersbeuern,www.max-rill-schule.de/aktuelles.html

© SZ vom 28.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: