Reden wir über:Politische Inszenierung

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Çiğdem Akyol hat eine Biografie über Recep Erdoğan geschrieben

Von Christa Gebhardt

Çiğdem Akyol , deutsche Journalistin mit türkischen Wurzeln, geboren 1978 in Herne, hat für verschiedene Medien gearbeitet, so als Korrespondentin für die österreichische Nachrichtenagentur APA in Istanbul. Mit ihrem Sachbuch "Erdoğan. Die Biografie" hat sie große Aufmerksamkeit erregt. An diesem Freitag liest sie daraus in Wolfratshausen.

Recep Tayyip Erdoğan stammt aus einem Armenviertel Istanbuls. Er ezeichnet sich als "schwarzer Türke" im Gegensatz zu den "weißen Türken". Was bedeutet das?

Çiğdem Akyol: Schwarze, islamisch geprägte Türken aus der Unterschicht stehen im Gegensatz zu den weißen Türken, der laizistisch geprägten Elite aus der Oberschicht. Sein Bekenntnis zu seiner Herkunft aus der Unterschicht ist maßgeblich für seinen Erfolg in einem großen Teil der Bevölkerung. Ein Mann des Volkes zu sein gehört zu seiner poltischen Inszenierung, was inzwischen absurd ist, denn Erdoğan in seinem Palast mit über 1000 Zimmern ist inzwischen weit entfernt vom harten Alltag des gewöhnlichen Volkes. Ein schwarzer Türke zu sein ist Teil seiner populistischen und charismatischen Politik. Das kommt gut an bei den Massen.

Erdoğan scheint bestimmte Lektionen gelernt zu haben : "geschmeidig sein", "Werte propagieren", "Freunde rechtzeitig entsorgen", "das System umbauen".

Erdoğan ist äußerst anpassungsfähig. Um seine Ziele zu erreichen, bedient er sich der gegenwärtigen stark nationalistischen Stimmung im Land, anschmiegsam, aber zugleich durchsetzungsfähig und unbeugsam. Die Bedeutung religiöser Werte wird überschätzt. Als durchaus konservativer Sunnit nutzt er das religiöse Instrumentarium zum Machterhalt. Weggefährten und Parteifreunde werden entsorgt, wenn sie nicht mehr den eigenen Zielen dienlich sind. Er will seine Macht nicht teilen und führt lieber einen offenen Krieg, zum Beispiel gegen den früheren Weggefährten Fethullah Gülen. Dabei nimmt er alles sehr persönlich. Erdoğan hat für sein Land viel erreicht, aber das System nachteilig für die Demokratie umgebaut. Sein Ziel, ein auf seine Person zugeschnittenes Präsidialsystem, wird er vermutlich erreichen.

Wie erklärt sich die Erdoğan-Verehrung in Deutschland lebender Türken?

Das ist vielschichtig und nicht einfach zu erklären: Auch lange in Deutschland lebende Türken erleben sich als ungenügend wertgeschätzt, oft von der Presse schlecht geschrieben. Zudem hat Erdoğan den Türken den Nationalstolz zurückgegeben. Die von ihm gegründete AKP hat einen wirtschaftlichen Boom ausgelöst, es gibt eine früher nicht existente Mittelschicht. Zudem wissen viele in Deutschland lebende Türken nicht, wie gefährlich es für Kritiker sein kann, in der Türkei zu leben. Ihre Informationsquellen beschränken sich - leider - auf die türkische Erdoğan-treue Presse.

Gibt es Anfeindungen gegen Sie ?

Nein, erstaunlicherweise nicht. Unangenehme Mails ja, aber nichts Bedrohliches. Vielleicht deshalb, weil ich politisch nicht einordbar bin - ich habe nie Partei für eine Seite ergriffen.

Freitag, 16. Februar, Buchhandlung Rupprecht, Wolfratshausen, 08171/998 97 70, Eintritt 8 Euro

© SZ vom 16.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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