Probenbesuch:Wer nicht zählen kann, fliegt raus

Lesezeit: 2 min

Aufstellung im Halbrund - das ist nur eine der möglichen Varianten, in denen der Isura Madrigal Chor sich am Sonntag im Konzert präsentieren wird, um Raumklangeffekte zu erzielen. (Foto: Martin Gleixner Photography/oh)

Der Isura Madrigal Chor arbeitet an einem höchst anspruchsvollen Konzert-Programm mit einem Kanon des Renaissance-Komponisten Josquin des Prez

Von Sabine Näher, Geretsried

Vierzig Menschen stehen im weiten Kreis nebeneinander und füllen damit den gesamten Raum des Saals in der Geretsrieder Musikschule. In der Mitte ein Mann am Klavier. Auf sein Zeichen beginnt die erste Sopranistin zu singen, nach einer Weile die zweite, dann kommt die dritte hinzu, die vierte. So geht es fort, bis ein 24-stimmiges Geflecht den Raum durchzieht. Der Mann am Klavier ist Johannes Buxbaum, er leitet den Isura Madrigal Chor. Der gebürtige Wolfratshauser hat in München Kirchenmusik und Chordirigieren studiert. Als die Musik verklingt, grinst er: "Manche sind angekommen, manche nicht... Das machen wir gleich noch mal!"

Der Kanon des Renaissance-Komponisten Josquin des Prez mit dem Titel "Qui habitat in adjutorio altissimi" ist eine immense Herausforderung - für jeden Chor. Die Sänger sind allein oder zu zweit in ihrer Stimme. Das heißt, sie müssen total sicher sein. "Festhalten" am Nachbarn ist nicht. Und sie müssen absolut firm im Zählen sein, denn jede Stimme pausiert immer wieder über viele Takte hinweg. Wer nicht sicher zählt, verpasst seinen Einsatz und fliegt raus - aus dem Stück. Und kommt dann eben nicht an.

Bettina Geue-Decker, fröhliche Rheinländerin und leidenschaftliche Chorsängerin, die die Pressearbeit für ihr Ensemble übernommen hat, erklärt: "Unser Programm heißt 'Polyphonia mundi'. Die Werke enthalten eine Zahlensymbolik, die Nachwirkung der spätgotischen Zeit ist." Diese sogenannte Proportionssymbolik finde sich zum Beispiel im Anfang des Kanons von des Prez. "Dort beginnt die Melodie mit einer ganzen Note. Es folgen zwei halbe, dann eine punktierte Viertel und weiterhin Achtelnoten. Aus dem größten Notenwert entwickeln sich die Kleinen in ihrer natürlichen Reihenfolge heraus. So entsteht eine reiche Polyphonie, die im Verlauf des 24-stimmigen Kanons bis an ihre extremen Grenzen gebracht wird." Wenn das wie vom Komponisten gedacht funktioniert, entfaltet es die überwältigende Wirkung einer Klangfülle, die den Hörer in sich hinein zieht. Die Isura-Madrigalisten sind allerdings noch nicht ganz so weit. Doch Buxbaum ermutigt sie: "Das klingt schon ganz cool hier vorne! Macht echt was her."

Neben dem schwierigen Kanon werden im Konzert in Maria Hilf Geretsried Werke aus ganz Europa, unter anderem von Palestrina, di Lasso, Allegri und Victoria, erklingen. Für Buxbaum ist das Highlight aber kein einzelnes Werk, sondern es sind die vielen verschiedenen Aufstellungen, die der Chor einnehmen wird, um unterschiedliche Raumklangeffekte zu erzielen. "So verbindet sich die Musik mit der Architektur. Der Konzertort wird buchstäblich zum Klangraum."

Ein paar Werke stellt Buxbaum aber doch heraus. Zum einen das "Miserere" von Gregorio Allegri aus den 1630er Jahren. Dieses hat in der Musikgeschichte auch dadurch Berühmtheit erlangt, dass der 14-jährige Mozart, mit dem Herrn Papa 1770 auf Italienreise, das neunstimmige Stück beim Gottesdienst in der Sixtinischen Kapelle gehört und hernach aus dem Gedächtnis fehlerfrei notiert haben soll. Orlando di Lassos "Tristis est anima mea" hebt Buxbaum als "wunderschönes Stück mit viel Symbolik" hervor. Di Lasso kam 1556 zunächst als Sänger an den Hof von Herzog Albrecht V. nach München und wirkte dort ab 1563 als Kapellmeister. Unter seiner Leitung erlebte die Hofkapelle einen bedeutenden Aufschwung.

Und dann wäre noch das Werk eines weithin unbekannten Komponisten zu erwähnen: "De profundis" von Estêvão Lopes Morago. "Er ist einer der ganz wenigen Vertreter der Renaissance aus Portugal", erklärt Buxbaum. "Sein Stück hat eine herbe Klangsprache mit vielen versteckten Reibungen." Und das erklingt nun schon konzertreif: Die Frauenstimmen heben an, mit sicherer Intonation, die Männer treten hinzu. Ein wunderbar schwebendes Stimmengeflecht entfaltet sich. Und macht Lust, das Konzert zu besuchen.

Sonntag, 26. März,17 Uhr, Kirche Maria Hilf, Geretsried. Eintritt frei

© SZ vom 23.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: