Premiere:Kunst auf dem Weg zu den Wurzeln

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Bassist Thomas Stimmel bringt die CD "Roots" mit Liedern schwarzer Komponisten heraus

Von Felicitas Amler, Icking

Mit dieser sanften, dunklen Stimme, die schon den Sänger ahnen lässt, sagt Thomas Stimmel ganz ruhig die unglaublichsten Dinge - wenn man ihn danach fragt. Dass er von Klein auf mit Diskriminierung konfrontiert gewesen sei. Dass Leute ihn in der S-Bahn angeherrscht hätten. Dass er erst jetzt wieder, auf dem Weg zu einem Auftritt in Österreich, der einzige in der Gruppe gewesen sei, der an der Grenze kontrolliert wurde. Kurzum: "Diese Thematik war immer da."

Diese Thematik ist die Hautfarbe. Thomas Stimmel, 32, Bassist, ist schwarz. Als Sohn einer Deutschen und eines Afroamerikaners ist er in München geboren, in Icking aufgewachsen. Zu seinen Wurzeln kommt er nun zurück - im doppelten Sinn: Unter dem Titel "Roots" bringt er mit eigenem Label eine Klassik-CD mit Musik ausschließlich schwarzer Komponisten auf den deutschen Markt. Und seine Premiere damit ist ein Konzert in Icking: "Ich könnte mir keinen besseren Ort vorstellen."

Stimmel ist längst ein international erfolgreicher Konzert- und Opernsänger. Er hat eine umfassende Ausbildung absolviert, als Kind im Tölzer Knabenchor begonnen, später unter anderem an der Hochschule für Musik und Theater München und bei Thomas Quasthoff an der Hanns-Eisler-Musikhochschule in Berlin studiert. Weil er als Kind schon gespürt habe, dass ihm "gewisse Vorurteile entgegenkamen", habe er versucht, erst recht konsequent seinen Weg zu gehen, sagt er. Immer mit dem Gefühl, "mehr beweisen zu müssen, dass ich etwas kann", als andere.

Im Studium schrieb er eine wissenschaftliche Arbeit über schwarze Sänger. Und stellte dabei fest, dass "ganz alte kolonialistische Bilder" noch bis tief ins 20. Jahrhundert ausstrahlten, auch in der Kunstszene, in der es doch eher international zugeht. Schwarze Sänger jedenfalls hätten es schwer gehabt, Karriere zu machen, schwerer selbst als schwarze Sängerinnen, die als exotisch und damit spannend gegolten hätten. Beim "schwarzen Mann" dagegen hätten auch auf Bühnen noch lange Zeit üble Vorurteile gegriffen: "wild, roh und übersexualisiert". Erst seit den 2000ern ändere sich das, sagt Stimmel.

Aber bis heute seien selbst Klassik-Kennern schwarze Komponisten eher unbekannt. Und das, obwohl es sie zu jeder Zeit seit dem Barock gegeben habe. Kantaten, Sinfonien, Kammermusik, Oratorien - all das lasse sich finden. Stimmels Recherche begann schlicht in der Internet-Suchmaschine - mit den Stichworten "schwarz" und "Komponisten". Der Erste, auf den man dabei stößt, ist der Mozart-Zeitgenosse Joseph Boulogne Chevalier de Saint-George (1745-1799), Sohn eines französischen Grafen und einer Plantagen-Sklavin von Martinique. Viele weitere entdeckte Stimmel. Zwei Jahre lang habe er Material gesichtet, zusammen mit dem Pianisten Philipp Vogler viel ausprobiert und sich dann dazu entschlossen, eine Lied-CD zusammenzustellen, die von der Romantik bis zur klassischen Moderne reicht. Henry Thacker Burleigh, Samual Coleridge-Taylor, Julia Amanda Perry und Harrison Leslie Adams sind jene vier, die er bei den "Meistersolisten im Isartal" präsentiert; mit Vogler und dem Quartett Eroica Berlin.

Eine ungewöhnliche Besetzung für einen Liederabend - so ungewöhnlich wie das Programm. Das "Stabat Mater" von Julia Amanda Perry (1924-1979) sei schon "sehr besonders", sagt Stimmel, denn der Sänger wird hier nicht wie sonst beim Lied üblich vom Klavier begleitet, sondern von einem Streichquartett: "Es ist eine Art Meditation über zwanzig Minuten." Perry, selbst auch Sängerin, hat es 1951 vor dem Hintergrund der Diskriminierung, Unterdrückung und Verfolgung der Schwarzen in den USA geschrieben. Es gilt als ihr bemerkenswertestes Werk, tonal, aber modern und experimentell.

Für die CD "Roots" hat Stimmel sein eigenes Label gegründet: "ars vobiscum". Viel Arbeit, vom bürokratischen Klein-Klein wie dem Anmelden eines Gewerbes bis zu den technischen Dingen wie der Tontechnik. Aber es sei für ihn "sehr reizvoll, den Kopf noch mal in eine andere Richtung zu betätigen", sagt der Sänger. Umso mehr, als er mit der CD-Produktion nicht von finanziellem Erfolg abhängig sei. Gerade daran mangle es auf dem CD-Markt: an nicht kommerziell ausgerichteten Produktionen, an ungewöhnlicher, nicht bereits x-mal verwerteter Musik, an eigenwilligen Interpretationen und unbekannten Werken. "Es verflacht alles", ist sein Urteil über den Klassik-Markt. Er hingegen wolle "nicht so gängiger Musik eine Plattform bieten". In Kollegenkreisen stoße er damit auf große Resonanz. "Es gibt ganz viele wunderbare Musiker, die das Bedürfnis haben, Neues zu schaffen."

Er sei eben einer, der "sehr viel im Kopf hin und her wälzt", sagt Stimmel über sich. Mehr ein Beobachter als ein Urteilender, könnte man sagen. Und auch das begann wohl schon in der Kindheit und in der Konfrontation mit Vorurteilen. Die Frage, ob er darauf nicht wütend reagiert habe, beantwortet er so: "Ich bin so erzogen, dass ich der deeskalierende Part bin - freundlich sein, Spannung rausnehmen." Das würde er sich auch von heutiger Politik wünschen, so sagt er: Dass "das Thema" mit mehr Nüchternheit behandelt werde. Und da ist es wieder - das Thema, dem er selbst nicht den Begriff gibt: Rassismus. Stimmel sagt nur: "Die Stimmung kippt wieder", seit vermehrt Flüchtlinge ins Land kommen. Bleibt ruhig und wundert sich - "dass die Gesellschaft so schnell in eine Richtung tendiert und so schnell vergisst, was uns alle ausmacht".

Klangwelt Klassik: "Roots", Samstag, 16. September, 19.30 Uhr, Einführung 18.30 Uhr, Konzertsaal des Gymnasiums Icking, www.klangwelt-klassik.de

© SZ vom 08.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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