Nach dem Auszug der Hebammen:Ein Haus für die Familie

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Das Geburtshaus in Bad Tölz wandelt sich. Kinder kann man dort nicht mehr zur Welt bringen. Statt dessen bieten dort bald zum Beispiel eine Yogalehrerin und ein Coach Beratung an

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Irgendwann wird es einfach zu viel. Permanente Rufbereitschaft, nur 14 Tage Urlaub im Jahr - so sah zuletzt der Berufsalltag von Claudia Hindenberg aus. 2009 hatte die Hebamme das Geburtshaus Tölz eröffnet, in dem Frauen außerhalb einer Klinik ihr Kind zu Welt bringen oder auch Hebammen für eine Hausgeburt finden können. Damals hatte sie zwei Kolleginnen, die allerdings längst abgesprungen sind. Im vergangenen Jahr arbeitete sie alleine. "Ein Raubbau am Körper", sagt sie. Deshalb sei es an der Zeit gewesen umzudenken. Das Geburtshaus in der Mühlgasse 7 verwandelt sich in ein Familienhaus, das am Samstag, 14. November, mit einem Tag der offenen Tür von 10 bis 16 Uhr eröffnet wird.

Es ist paradox: Mit um die 800 Frauen hatte das Geburtshaus seit seiner Gründung mehr als genug Klientinnen, dennoch wird es dort künftig keine Niederkunft mehr geben. Hebammen, die freiberuflich tätig sind, haben es schwer. Um sich gegen Risiken abzusichern, müssen sie eine Haftpflichtversicherung abschließen, die Hindenberg zufolge vor sechs Jahren noch 1700 Euro pro Jahr kostete, mittlerweile aber 6300 Euro.

Hinzu kommen Arbeitszeiten, die es den Geburtshelferinnen kaum erlauben, eine eigene Familie zu haben. Die jüngeren von ihnen kämen selten nach Hause, den älteren werde die Belastung zu hoch, sagt Hindenberg. Außerdem haben selbständige Hebammen mit der Gesetzeslage zu kämpfen. Erst seit September gibt es einen neuen Paragrafen, wonach schwangere Frauen einen Arzt aufsuchen müssen, wenn die Geburt am dritten Tag nach dem berechneten Termin noch nicht geschehen ist. Die meisten Ärzte schickten die Frauen dann in ein Krankenhaus, weil es dort "vermeintlich sicher" sei, so Hindenberg. Dabei verzögert sich die Niederkunft bei 70 bis 80 Prozent der Schwangeren.

Das geschieht im Familienhaus

Im neuen Familienhaus wird es keine Geburten mehr geben. Die Räume wurden dementsprechend umgebaut, über die genauen Kosten ist sich Hindenberg selbst noch nicht im Klaren. Ihr Vermieter, mit dem sie einen Zehnjahresvertrag hat, sei gottlob kulant, sagt sie. Die Idee zu dem neuen Angebot hatte die Yogalehrerin und Heilpraktikerin Angelika Welter, die seit drei Jahren Kurse im Geburtshaus leitet. Eine Traumatherapeutin, die Hindenberg eigentlich nach München locken wollte, kommt nun nach Bad Tölz, sie kennt wiederum einen Kinder- und Jugendcoach, der ebenfalls zum künftigen Team des Familienhauses zählt. "So kam einer zum anderen", sagt Hindenberg. Außerdem zählen zwei neue Hebammen, zwei Osteopathinnen, eine Stillberaterin und Family-lab-Trainerin sowie eine Yogalehrerin und Heilpraktikerin, die auf mentale Geburtsvorbereitung spezialisiert ist, zum insgesamt zehnköpfigen Team.

Das Angebot des Familienhauses umfasst weiterhin Vor- und Nachsorge bei Geburten. Neben Klassikern wie der Rückbildungsgymnastik und der Stillberatung gehören dazu auch eine Schrei-Ambulanz, Babymassage und eine mentale Geburtsvorbereitung. Darauf ist Yogalehrerin und Heilpraktikerin Julia Bomhard spezialisiert, die mit Hypnose arbeitet. Dabei gehe es nicht um Hypnobirthing, einem standardisierten Verfahren zur Selbsthypnose der Frauen, wenn sie ein Kind auf die Welt bringen.

Diese Methode sei "viel zu vereinfachend" und werde auch nur in vier Tagen gelehrt. "Ich finde, dass ich qualitativ etwas Besseres biete", sagt Bomhard. Als systemischer Coach habe sie mehr Möglichkeiten, Schwangere darauf vorzubereiten, mit den Schmerzen umgehen und auch eine lange Geburt durchzustehen - "ohne einen riesigen medizinischen Aufwand".

Kurse für den Umgang mit bockigen Kindern

Das Geburtshaus suchten bislang Frauen auf, das Familienhaus soll auch eine Anlaufstelle für Männer sein, ebenso für Kinder bis ins Pubertätsalter hinein. Der Kinder- und Jugendcoach berät zum Beispiel bei Lernstörungen, bei ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom) oder bei Legasthenie. In den Family-lab-Kursen geht es darum, wie man richtig mit bockigen Kindern umgeht.

Frauen wiederum, die eine schwere erste Geburt erlebt haben, können sich in der zweiten Schwangerschaft an die Traumatherapeutin wenden. Hebammen könnten eine solch intensive Begleitung an einem Krankenhaus nicht leisten, weil sie dazu keine Zeit hätten, sagen Hindenberg und Bomhard unisono. Bomhard findet es zwar "jammerschade", dass Frauen in dem Geburtshaus keine Anlaufstelle wie bisher mehr haben, andererseits biete das Familienhaus künftig "alles aus einer Hand", was sich Familien an einzelnen Angeboten im Landkreis sonst zusammensuchen müssten. Und die Gründerin sei nun auch "froh, wenn sie die Miete auf mehrere Schultern verteilen kann". Vor allem aber dürfte Claudia Hindenberg wieder etwas mehr Zeit für sich und ihre Familie haben.

© SZ vom 30.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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