Münsing:Ein Schiff ist eine Kathedrale ist ein Schiff

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Iring de Brauw in seinem Atelier über dem Starnberger See. (Foto: Manfred Neubauer)

Nach 50-jährigem kreativen Schaffen ist Iring de Brauw an seinem künstlerischen Ziel angekommen. Seine neuen Motive haben mit alten Leidenschaften zu tun: "Ich schreibe das fast auf wie einen Brief."

Von Claudia Koestler, Münsing

"Ein kleines Geheimnis muss übrig bleiben", sagt Iring de Brauw und in seinen Augen blitzen das Vergnügen und der Schalk. Seine Bilder mögen Titel haben, Geschichten erzählen und vor allem dem Betrachter neue Blickwinkel eröffnen - einen Namen für ihre Richtung aber will er nicht finden müssen. "Ich habe einen sehr eigenen Stil, so wie ich eigen bin", sagt der 77-Jährige, wuselt pfeifend durch sein Atelier und zeigt eine Auswahl: Acrylmalereien, die mit ihren sprühenden Farben die Flächen beherrschen, Zyklen, die menschliche Gefühle zu expressiv gestalteten Farbstrukturen abstrahieren, dazwischen mythologisch anmutende Holzplastiken und Steine, in deren Maserungen er Motive sichtbar macht. Das Oeuvre seines Schaffens ist immens und höchst individuell, doch mit seinen neuesten Werken ist der 77-jährige Künstler angekommen: bei sich, bei den Themen Kirchen und Schiffe, die ihn bereits sein Leben lang begleiten. Und er ist angekommen im Zeitgeschehen und bei einer Unmittelbarkeit, die alle Unterschiede zwischen Ding- und Gefühlswelt aufzuheben scheint. Von 20. März an werden seine neuen Bilder im Festsaal der Seeresidenz Alte Post in Seeshaupt zu sehen sein unter dem Titel "Fadenspiele".

In der Tat seien die Werke, die er in den vergangenen zwei Jahren geschaffen hat, "etwas ganz Neues, etwas ganz anderes, und ich kann das nur machen, weil ich alles andere schon gemacht habe", sagt de Brauw. Es gebe Menschen, weiß er, die sagten, och, über 70, da mache es keinen Sinn mehr, viel zu tun: "Aber ich kann doch gerade jetzt aus dem Vollen schöpfen", betont der Münsinger.

De Brauw verzichtet in seinen jüngsten Werken auf sinnliche Pracht, auf Prunk und Glanz der Farbe. In feinen schwarzen Linien und Gitternetzen zeichnet er Kathedralen, aus denen sich Schiffe herausschälen oder die in einen Schiffskörper übergehen. In einem anderen Bild umarmt eine Katze das Kirchenschiff, und ein weiteres zeigt eine islamische Frau: Ihre Füße stecken in einem Stiefel, an ihrer Brust nährt sie ein Kind, das mit der Milch Freiheit aufsaugt, symbolisiert durch Pferde.

"Ich schreibe das fast auf wie einen Brief", beschreibt de Brauw die Herangehensweise. Doch trotz dieses raschen und unmittelbaren Zugriffs haben seine Zeichnungen nicht den Charakter schnell hingeworfener Skizzen. De Brauw führt den Pinsel kontrolliert, mit sicher gezogenen Linien baut er das Bild, definiert den Raum, die Gegenstände und Figuren in ihm, ohne Schraffuren und ohne Schatten, nur durch die reine Konturlinie. Er nimmt Ordnung auseinander und fügt sie neu zusammen. Die Freiheit des Spiels ist nicht Willkür, sondern Befreiung von Druck und Gedränge, Abstraktion von der gewöhnlichen Wirklichkeit. Die Arbeiten dokumentieren in stringenter Weise die Verbindung von gedanklichen und anschaulichen Prozessen in der künstlerischen Tätigkeit.

"Als Kind wollte ich Kirchenbauarchitekt werden, dann Schiffsbauer. Diese beiden Dinge, habe ich jetzt verbunden: Kathedralen und Schiffe, aber dazu habe ich über 50 Jahre gebraucht", sagt er.

Geboren wurde de Brauw als Sohn einer Deutschen und eines Holländers in München. Kriegsbedingt musste die Familie kurz nach seiner Geburt in die Heimat des Vaters nach Rotterdam ziehen, wo er aufwuchs. Nach einer Hotelfachlehre wurde er Schriftsetzer, doch ein Buch über Kandinsky weckte sein Interesse für Kunst. Er ließ sich bei dem Esslinger Glasmaler Professor Hans Gottfried von Stockhausen ausbilden und ging anschließend an die Kunstakademien in Stuttgart und München. Dort habe er das Handwerk gelernt, "alles andere habe ich mir selbst beigebracht". Generell findet er: "Man muss selbst neugierig sein, Durchhaltevermögen haben und - ja, eine Begabung. Aber die ist nicht alles, wichtiger ist das Durchhaltevermögen." Natürlich sei er am Weltgeschehen interessiert, "aber ich bin kein intellektueller Künstler", sagt de Brauw, der nach einer Erbschaft seit 1982 am Ostufer des Starnberger Sees wohnt.

Auf "Fadenspiele" sei er durch einen Zufall gekommen, bei einem Spaziergang unten am See: "Erst auf dem Rückweg entdeckte ich zwischen zwei Bäumen, bestimmt drei, vier Meter auseinander, von einer Spinne gewobene Linien. Das gab es doch nicht, dass ich die auf dem Hinweg nicht gesehen hatte!", erzählt er. Ein augenöffnender Moment, "denn als Künstler geht es einem um Bewusstwerdung und darum, aus dem Unterbewusstsein, aus dem Dunkel etwas ans Licht zu holen", beschreibt er sein Streben in der Kunst. "Ich muss mir nicht einbilden, dass ich alles sehe und alles weiß. Es gibt auch noch etwas anderes. Und genau das möchte ich in meinen Bildern sichtbar machen."

Iring de Brauw: Fadenspiele, Ausstellung bis 29. Mai; Vernissage am Sonntag, 20. März, 17 Uhr, Seeresidenz Alte Post, Alter Postplatz 1, Seeshaupt

© SZ vom 17.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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