Münsing:Drei Orte, drei Klangwelten

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Ein Spaziergang von Schauplatz zu Schauplatz ersetzt fulminant die Holzhauser Musiktage

Von Paul Schäufele, Münsing

Es sitzt ein Cellist an der Friedhofsmauer, Kirche hinter ihm, Kühe vor ihm, Kirschbaum über ihm. Was ohne Weiteres eine Szene aus einer Novelle des Mondnacht-Romantikers Joseph von Eichendorff sein könnte, ist in Wahrheit das Entrée zu den Holzhauser Musiktagen. Dem Anspruch, besondere Musik an besondere Orte zu bringen, wird in diesem Jahr auf besondere Weise entsprochen - drei exquisite Programmpunkte an drei Orten, verbunden durch kleine Spaziergänge, machen das Auftaktkonzert zu einem Gesamtkunstwerk aus Musik und Natur.

Adriaan Feyaerts und Jeroen Geevers treten im Schlossgut-Park in einen Marimbaphon-Dialog. (Foto: Hartmut Pöstges)

Den Eröffnungsmonolog an der Holzhauser Kirche Sankt Johann Baptist gestaltet Sebastian Klinger mit der dritten der sechs Suiten für Violincello solo. Mit großem Ton durchmisst Klinger die C-Dur-Tonleitern, die den festlichen Charakter dieser Suite bestimmen, ohne dabei in übertriebene Tempo-Schwankungen zu verfallen. Sein Zugriff auf diesen Klassiker der Cello-Literatur ist flexibel, aber nicht instabil; elegant, aber nicht preziös; analytisch, aber nicht kalt. Klinger spielt natürlich und mit einer Souveränität, die diese Suite wie eine raffinierte Freiluft-Improvisation wirken lässt, zu der Kuhglockengebimmel und Kirchturmgeläute nicht schlecht passen. Mit der sprechend ausgeführten Allemande und der zupackenden Courante harmoniert die ländliche Geräuschkulisse vielleicht am besten. Hier kann Klinger seinen Barockbogen springen lassen, ehe die versonnen langsame Sarabande zur Meditation einlädt. Dass trotz der alles in allem nicht idealen Akustik Klingers Ziel eine differenzierte Interpretation ist, machen auch die abschließenden Tanzsätze deutlich. Das melancholische c-Moll der zweiten Bourée spielt der Cello-Professor mit berührender Klarheit, die finale Gigue mit rustikalem Schwung.

Spannender Szeneriewechsel: Solist Sebastian Klinger setzt mit dem Cello vor der Kirche barocke Akzente. (Foto: Hartmut Pöstges)

Mit diesen Klängen im Ohr macht sich das Publikum auf den Weg zum Schlossgut Oberambach und erfährt damit eine Mobilität, die im Konzertsaal nicht möglich wäre. Der Szenenwechsel deutet sich auch klanglich schon von Weitem an. Nicht Streicherklänge kommen aus dem Park des Schlossguts, sondern Marimbaphon-Töne. Nach dem Eingangs-Tableau, das romantische Kulisse mit barocker Klangkunst verbunden hat, nun der Wechsel in die Moderne. Mit Starnberger See-Blick präsentieren Adriaan Feyaerts und Jeroen Geevers Musik des zwanzigsten Jahrhunderts (mit einer Ausnahme), angefangen mit Steve Reichs "Nagoya Marimbas", einer rhythmischen Vertracktheit erster Güte, die sich der Großmeister der Minimal Music für die Schlaginstrumente ausgedacht hat. Mit zuverlässiger Präzision führen Feyaerts und Geevers in die Musik des Aufschlagidiophons ein. Die minimal variierten musikalischen Muster haben hier hypnotische Wirkung. Nicht weniger polyphon, aber mit traditionellerer Rhythmik interpretiert das eingespielte Duo dann eine Bearbeitung des Préludes aus der zweiten der Englischen Suiten Bachs, engagiert und mit plastischem Ton. Andere Klangfarben produziert das Duo mit Igor Strawinskys Tango, einem 1940 im amerikanischen Exil entstandenen Klavierstück. Die mürrische Stimmung und kühle Harmonik setzen die beiden Musiker mit vollendeter Coolness um - hier wird mit Abstand getanzt. Mit der "Alborada del Gracioso" , dem Morgenständchen des Narren, einem wegen seiner Virtuosität gefürchteten Klavierstück von Maurice Ravel, bieten die Marimbaphonisten ihre Spielkunst auf. Das Publikum ist begeistert.

An der Remise steht ein Quarett auf der Bühne. (Foto: Hartmut Pöstges)

Doch es muss weiterziehen. In diesem Fall nur ein paar Meter, vom Park in die Remise. Auf der veritablen Bühne des Unterstands findet nach Anfangs-Monolog des Cellos und Marimba-Zwiegespräch im Park nun eine Ensemble-Szene statt. Mit Felix Mendelssohn Bartholdys D-Dur-Streichquartett aus der Sammlung Opus 44 setzt das aus Lena Neudauer, Anne Solveig Weber, Alice Marie Weber und Sebastian Klinger bestehende Quartett einen optimistischen Schlusspunkt. Dem sprudelnden Kopfsatz möchte man seinen klassizistisch symmetrischen Aufbau kaum anhören, so dynamisch-energiereich werden die Phrasen strukturiert. Intim kammermusikalischen Charakter führt das verhaltene Seitenthema in den Satz ein. Doch mit Raffinesse findet das Viergespann wieder in den Optimismus des Anfangs zurück. Das vornehm zurückhaltende Menuett bildet einen ruhigen Kontrapunkt dazu und auch der liedhafte langsame Satz wird nicht künstlich expressiv aufgebauscht. Über trübsinnigem Pizzicato der tiefen Streicher verbreiten sich die zarten Kantilenen der Geigen, zaghaft tastend. Mit feurigem Schwung wischt der Finalsatz, der "italienischste" dieses Quartetts, in rasenden Achteltriolen die Schwermut weg. Bei so anregendem Finalpathos ist es dem Publikum entgangen, dass es inzwischen einigermaßen frisch geworden ist. Großzügiger Beifall wärmt die Hände und bekundet die Zustimmung für das ausgefeilte Konzept des Abends - dreimal fantastische Schauplätze, dreimal fantastische Musik.

© SZ vom 20.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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