Münsing:Der eigene Ton im Ton

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Aus der Form ergibt sich die Funktion - das ist das Credo von Corinna Post bei ihrer Töpferarbeit. (Foto: Hartmut Pöstges)

Corinna Post, Mitbegründerin von "Holzhausen stellt aus", feiert das 20-jährige Bestehen ihrer Töpferei

Von Benjamin Engel, Münsing

Zu den besonderen Herausforderungen im Töpferhandwerk zählt Corinna Post, eine eigene Sprache zu finden. Mischen sich in ihren Produkten klassische mit modernen Formen, ist für die 61-Jährige die spätere Funktion eines Gegenstands entscheidend. "Eine Gefäß soll funktionieren, nicht nur irre ausschauen." Das Credo ihrer Arbeit: Aus der Form ergibt sich die Funktion. So sind ihre kunstvoll verzierten Teeschalen so dünn und leicht, dass die Menschen möglichst vergessen sollen, dass sie ein Gefäß in den Händen halten. Sie sollen vom Prozess des Trinkens kaum abgelenkt werden. Das gilt auch für ihre anderen Gebrauchsgegenstände - Teller, Tassen, Schalen, Milchkannen.

Die gebürtige Düsseldorferin feiert am Freitag und Samstag, 23. und 24. September, das 20-jährige Bestehen ihrer Töpferei mit Lesung, Konzert und Filmen. 2003 zog sie mit ihrer Werkstatt von der Brunnenstraße in die frühere Schmiede an der St. Heinricher Straße. Ihrer Initiative ist es mitzuverdanken, dass Menschen ihr kreatives Potenzial in dem kleinen Dorf sichtbar machen konnten: Post gehört zu den Initiatoren von "Holzhauser stellen aus". Unter diesem Motto öffnen Praxen, Ateliers und Werkstätten seit 2005 in zweijährigem Rhythmus ihre Türen für Besucher.

Die 61-Jährige hat das Konzept von "Holzhauser stellen aus" mit Kunstkeramikerin Sabine Severin und Lichtdesigner Gregory Prade entwickelt. Ihre Ausgangsüberlegung: das ganze Dorf einbeziehen, die Besucher auf einem Rundweg zu mit orangenen Fahnen markierten Orten durch Holzhausen leiten. Dieses Konzept hat sich bewährt. 2015 machten 21 Holzhauser mit - von der Einmachküche für Marmeladen und einer Polsterei bis zu Schneiderinnen und der Feuerwehr. Seitdem fühlt sich Post im Dorf erst so richtig eingebettet und freut sich über die Chance, selbst das ganze kreative Potenzial des Ortes entdecken zu können. "Es gibt immer irgendjemandem, dem was einfällt."

Post stammt aus einer Künstlerfamilie. Ihr Vater malte, ihre Mutter töpferte nebenbei. Ein Sozialpraktikum in der zwölften Klasse in einem englischen Camphill-Dorf für geistig behinderte Menschen mit einer Keramikwerkstatt löste in ihr den Wunsch aus, das Töpferhandwerk zu lernen. Nach einer Lehre in Nümbrecht im Bergischen Land studierte sie an der Akademie der Künste in München Keramik und Bildhauerei. Sie bekam zwei Kinder und gründete 1996 die Keramikwerkstatt in Holzhausen.

Post stellt gerne Serienstücke her. Drehe sie viele gleiche Gefäße wie Tassen oder Teller, entstehe eine innere Ruhe in der Arbeit. Zudem biete sich ihr die Möglichkeit, jedes einzelne Stück zu optimieren. Dazu zitiert die Keramikerin den Bildhauer Panamarenko: "In der konsequenten Rückversetzung in eine Situation nicht entfremdeter, unmittelbar erlebbarer und verstehbarer Arbeit, liegt eine poetische Antwort auf moderne Existenzbedingungen." So fasziniert Post an ihrer Tätigkeit, dass sie mit dem ganzen Körper arbeiten, über Körperspannung und Rhythmus beim Drehen sich in das Material einfühlen müsse.

Für ihre Tassen, Teller, Schalen, Vasen oder Weinkühler verwendet Post roten Ton. Sie brennt das Material bei 1070 Grad zu Steingut. So bleibe es weicher, offenporig und wirke wärmer als bei höheren Temperaturen gebranntes Steingut. Dafür ist es nicht wasserdicht, weshalb Post eine transparente Glasur aufbringt. Auf ihren Teeschalen winden sich bunte Körper ineinander, sie gleichen Schattenrissen. Dafür ritzt die Keramikerin mit dem Nagelstift die Umrisse der Figuren in den getrockneten Ton. Für die Farbgebung arbeitet sie mit der Technik des Engobierens. Sie trägt die Engoben - flüssige Tonschlämmungen - innerhalb der vorgeritzten Linien auf die Keramikobjekte auf. Erst nach dem Brennen entfalten die Farben ihre intensive Leuchtkraft.

Die Maxime von Post ist es, Gebrauchsgegenstände anzufertigen. Sie entwirft Vasen in praktischer Form mit mehreren Elementen zum Zusammenstecken, Eierbecher, Weinkühler oder Krüge in zeitlosen, schnörkellosen und doch dynamischen Formen und greift auf das Farbenspektrum traditioneller Keramik vom Land zurück. Für Kinder und Erwachsene organisiert sie Töpferkurse. Das Schöne an ihrer Arbeit sei, dass der ganze Entstehungsprozess vom Ton bis zum fertigen Produkt allein in ihren Händen liege, sagt sie.

Post hat zu ihrem Jubiläum Tomma Galonska für eine Lesung gewonnen. Die Schauspielerin wird einen Text von Philippe Jaccottet über das Schaffen von Kunstwerken vortragen. Zudem spielt Olga Koring, Jungstudentin an der Musikakademie Kassel und Mitglied im Landesjugendsinfonieorchester Kassel, Bach und Arthur Honegger. Es laufen Kurzfilme eines Neffen von Post über ihre Arbeit als Keramikerin, über den Maler Michael Tönges sowie über Barcelona. Zum Ausklang spielt das Duo Entplugged.

20 Jahre Töpferei Corinna Post, Ausstellung, Freitag und Samstag, 23. und 24. September, jeweils 11 bis 19 Uhr; Lesung von Tomma Galonska aus "Der Pilger und seine Schale - Giorgio Morandi", Olga Koring an der Querflöte, Freitag, 20 Uhr; Duo Entplugged mit Paul Schubert (Cello) und Christoph Erl (Gitarre), Samstag, 20 Uhr, Kurzfilme von Maurus Post sowie Leslie und Jörn Bütow, Freitag und Samstag.

© SZ vom 23.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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