Einkaufsstadt Wolfratshausen:"Die Stadt muss ihre Hausaufgaben machen"

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Cima-Teilhaber Christian Hörmann über sein Einzelhandelskonzept für Wolfratshausen und die Chancen und Risiken eines Einkaufszentrums auf dem Kraft-Areal am Bahnhof.

Von Matthias Köpf, München

Bis vor wenigen Monaten waren die Kommunalberater von der Cima noch die Kellerkinder im Münchner "Haus des Handels". Inzwischen sind sie in dem Gebäude des Handelsverbands HBE in die oberste Etage gezogen. Christian Hörmann ist seit 15 Jahren Berater bei der Cima und seit 2009 Teilhaber. Er hat auch nach dem Umzug eins der kleinsten Büros. Doch der 41-Jährige ist ohnehin oft außer Haus. Er berät Kommunen mit Einzelhandelskonzepten - seit 2013 auch wieder Wolfratshausen.

Herr Hörmann, seit mehr als zwei Jahren ist in Wolfratshausen Krisenstimmung. Ist die Einkaufsstadt noch zu retten?

Eindeutig ja. Hier sind die Wurzeln im Vergleich zu andern Städten stärker. Es hat ja sogar mal eine Zeit gegeben, da ist man von München mit dem Zug nach Wolfratshausen zum Einkaufen gefahren. Eigentlich ist Wolfratshausen ein guter Standort, aber er ist leider tendenziell schwächer geworden, was auf sowohl auf veränderte Rahmenbedingungen des Handels im Allgemeinen, als auch auf standortspezifische Probleme zurückzuführen ist.

Das Fanal war die Schließung des Isarkaufhauses Ende 2012. Wie wichtig ist diese eine Immobilie für die ganze Stadt?

Wenn man sich die Situation im Ober- und Untermarkt anschaut, dann ist das die einzige Immobile im Bestand, die von der Fläche her ein nachfragegerechtes Angebot erlauben würde. Aber nur, wenn man es neu gestalten dürfte. Dafür haben wir uns ja bereits ausgesprochen. Gehen würde das bestimmt, eine qualitativ hochwertige Projektentwicklung ist aber kostenintensiv. Also stellt sich die Frage, welche tragfähigen Erlösarten zu erzielen wären. Handel kommt dabei heutzutage lediglich im Erdgeschoss und im ersten Stock infrage. Darüber sind wertige Stadtwohnungen eine vermarktbare Lösung.

Wie steht Wolfratshausen im Vergleich zu ähnlichen Städten da?

Das müssen wir differenziert betrachten, denn Möbel Mahler verzerrt die Standortdaten wie Umsatz und Verkaufsfläche im positiven Sinn. Wenn man Mahler herausrechnet, ist das Angebot Wolfratshausens im mittel- und langfristigen Bedarf, zum Beispiel bei Sportartikeln, Textilien und Elektroartikeln, unterdurchschnittlich. Hier sehen wir eine elementare Schwachstelle von Wolfratshausen. Hier fehlt die kritische Masse an Vielfalt, um mehr Menschen von außerhalb nach Wolfratshausen zu ziehen.

Christian Hörmann ist federführender Verfasser des Wolfratshauser Einzelhandelsgutachtens. (Foto: Catherina Hess)

Welche Rolle spielt die Nähe zu München?

München ist der maßgebliche Wettbewerber, genau wie für alle Mittelzentren in seinem Umland. Aber München ist neben dem Einkaufserlebnis auch regelmäßig voll und stressig. So können die Städte in der Region schon wieder damit werben, dass Einkaufen und Flanieren bei ihnen viel entspannter sind. Standortqualitäten sind da etwa die schnelle Erreichbarkeit, die Nähe, die kurzen Wege, das bequeme Parken mit dem Auto.

In Wolfratshausen herrscht die Meinung vor, es gebe zu wenige Parkplätze.

Ja und Nein. Ich selbst bin wirklich oft in Wolfratshausen, und es ist mir noch kein einziges Mal passiert, dass ich vor der Loisachhalle nicht gleich einen Parkplatz bekommen hätte. Und das ist ja der Zentrums-Parkplatz schlechthin. Aber es geht auch um gefühlte Distanzen, gerade in ländlicheren Gegenden sind die Kunden sehr entfernungssensibel. Deswegen würde ich empfehlen, am Hatzplatz die Park-Situation zu verbessern und das im Umland dann auch offensiv zu bewerben.

Sie haben 2002 schon einmal ein Gutachten für Wolfratshausen erstellt. Was hat sich in den 13 Jahren seither verändert?

Vor allem ist Möbel Mahler extrem gewachsen. Das hat für die Innenstadt keine große direkte Bedeutung, aber Mahler hat sich richtigerweise in diesem Hyper-Wettbewerb der Möbelhändler stabilisiert, und das ist für Wolfratshausen wertvoll. Wenn vielleicht auch nur zwei Prozent der Mahler-Kunden noch in die Innenstadt fahren, um einzukaufen oder einen Kaffee zu trinken, dann ist das auch schon ein Netto-Gewinn, den man sonst nicht hätte. Außerdem haben sich seit 2002 die großen Lebensmittel- und Drogeriemärkte entlang der Königsdorfer Straße angesiedelt. Dass jetzt alleine deswegen der Tengelmann in der Innenstadt hätte schließen müssen, wäre ein zu einfaches Denkmodell. Eine so kleine Filiale in der Altstadt war für Tengelmann nach heutigen Maßstäben ohnehin ein sehr schwieriger Standort.

Die Altstadt als ganze scheint der große Verlierer der vergangenen Jahre zu sein.

Sie hat stark verloren, in der Tat. Es gibt das leere Isar-Kaufhaus und andere Leerstände, die wir früher so nicht hatten. Die Altstadt hat die komplette Sportkompetenz eingebüßt und auch in den Bereichen Textil und Lebensmittel verloren.

Was wird sich Ihrer Erwartung nach in den kommenden 13 Jahren verändern?

Das ist die große Frage. Grundsätzlich wird der Internethandel weiter so massiv zulegen, dass es der stationäre Handel, den es noch gibt und geben wird, in jedem Fall sehr stark spüren wird. Wir müssen außerdem befürchten, dass der inhabergeführte Einzelhandel auch wegen der Nachfolgeproblematik unter Druck gerät, also nicht einfach die nächste Generation das Geschäft übernimmt. Das wird auch in Wolfratshausen so sein. Als Gegenpol haben wir aber immer noch das große Plus, dass die Stadt ein attraktives Ziel darstellen kann, mit einem starken Kulturprogramm und mit hoher Aufenthaltsqualität, städtebaulich und landschaftlich. Diese Qualitäten sind deutlich zu fördern.

Was also sollte sich in den kommenden Jahren ändern?

Auf der Unternehmerseite sollte sich jeder die Frage stellen, wie er mit dem Thema Online-Handel und Online-Präsenz umgehen will. Einerseits ist eine Flucht in die Nische möglich, also die radikale Möglichkeit der Spezialisierung mit hoher Beratungsqualität, um sich vom preisgetriebenen Wettbewerb im Internet abzukoppeln. Andererseits werden auch in Wolfratshausen die Online- und die reale Welt stärker verbunden werden müssen. Die Chance liegt aber auch in einer starken Unternehmergemeinschaft vor Ort, die gemeinschaftliches Marketing betreibt. Die Immobilienbesitzer müssen sich strategischer mit dem Thema Handel auseinander setzen. Sie müssen sich fragen, ob sie die jetzigen und die künftigen Bedürfnisse ihrer Mieter kennen. Das haben die Eigentümer heute oft noch nicht erkannt, auch in Wolfratshausen. Einfach an den nächsten Handyladen zu vermieten, kann einen Standort schwächen und somit die eigene Immobilie langfristig entwerten. Und die Stadt muss ihre Hausaufgaben machen, um die Atmosphäre für ein erlebnisorientiertes Einkaufen zu schaffen, also Ober- und Untermarkt gestalten, den Verkehr reduzieren, die Rückseite am Loisachufer zur Schauseite machen. Das haben wir auch 2002 schon angeregt. Eine reine Fußgängerzone sehe ich in Wolfratshausen nicht, da reicht in einer ja doch vergleichsweise kleinen Stadt wieder die kritische Masse an Angeboten nicht, um so eine Fußgängerzone auch mit Kunden und Besuchern zu füllen. Eine Verkehrsberuhigung wäre besser und ist auch nötig.

Wäre ein Einkaufszentrum in Bahnhofsnähe eher eine Bereicherung oder eine Bedrohung für die Altstadt?

Wir sprechen uns im Grundsatz dafür aus, es wäre als Standort am Innenstadtrand sicherlich eine Bereicherung. Das Areal eignet sich insbesondere für eine qualifizierte Nahversorgung in zentralster Lage. Ein Supermarkt im Verbund mit einem Discounter schafft Vorteile für Verbraucher, dann kann in einem Rutsch der Wochenendeinkauf erledigt werden. Eine Regulation in der Größe tut not, sonst sind verkehrliche Probleme zu erwarten. Im Vorfeld der Entwicklung sind hier spezielle Fachuntersuchungen Pflicht.

Welche Branchen sollten sich am Kraft-Areal idealerweise ansiedeln?

Die Lücke bei der Sportkompetenz in der Innenstadt würde ich dort wieder schließen wollen. Und immer noch einen stationären Elektrofachhandel, auch wenn inzwischen schon 39 Prozent aller Elektroartikel im Internet gekauft werden. Das ist immer noch eine große Lücke in Wolfratshausen, weshalb viele nach Geretsried fahren oder nach Weilheim. Namhafte Textilketten interessieren sich immer für derartige Standorte. Wir empfehlen jedoch gerade hier eine deutliche planungsrechtliche Begrenzung, um Umsatzpotenziale für die notwendige Innenstadtentwicklung zu reservieren und nicht an der falschen Stelle zu binden. Alle Regulierung dient immer nur dazu, die Chancen für bestimmte Gebiete zu erhöhen, in diesem Fall eben für die Innenstadt. Innerhalb dieses zentralen Versorgungsbereichs ist dann eine hohe Wettbewerbsintensität als Ziel zu definieren. Konkurrenzschutz macht innovationsfaul - zum Nachteil der Kunden und am Ende vermutlich auch zur Gefahr für das eigene Unternehmen.

Wie sehen Sie die Rolle größerer Ketten?

Ein florierender Standort braucht große, kräftige Unternehmen und auch kleine, spezialisierte Fachhändler. Die Mischung und die Vielfalt sind wichtig für eine Innenstadt. Vielfalt erreiche ich aber nur, wenn überhaupt ein bindungsfähiges Marktpotenzial vorliegt. Ketten und Fachhändler ergänzen sich in der Ansprache des Einzugsgebietes und der Kundenbindung. Verbraucher suchen neben der Einkaufsatmosphäre immer bestimmte Produkte und Marken. Ob nun der einzelne Händler oder eine Konzern-Filiale das Angebot bietet, ist dem Verbraucher nahezu egal.

Wäre eine Kooperation mit Geretsried sinnvoll?

Geretsried hat 2002 noch niemand als Konkurrenz wahrgenommen, aber inzwischen ist es zu einem wertigen Mitbewerber aufgestiegen, spätestens seit der C&A-Ansiedlung. Vielleicht sind in Wolfratshausen manche erst da ein bisschen aufgewacht. Natürlich konkurrieren beide Städte in bestimmten Bereichen, aber sie sind auch Teil des gleichen, starken Wirtschaftsraums. Ich befürworte einen gesunden Wettbewerb zwischen beiden Städten. Die Frage nach der Kooperation muss man fallweise beantworten - in Tourismus- und Wirtschaftsförderung sicherlich mit Ja.

© SZ vom 10.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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