Mitten in der Region:Der Superstar vom Dach

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Bühne frei für den Größten unter den Kleinen....

Kolumne Von VALENTIN TISCHER

Wenn es einen Superstar der deutschen Sprache geben kann, dann denken viele zunächst an die großen deutschen Literaten. Aber der wirkliche Superstar ist nicht Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Thomas Mann oder Günter Grass, sondern der Passer Domesticus.

Jeder, sogar Leute, die noch nie in ihrem Leben einem Buch nur nahegekommen sind, kennen mindestens einen Satz, in dem er die Hauptrolle spielt. Ganze Knabenchöre in oberpfälzischen Bistumsstädten sind nach ihm benannt und so mancher Verliebte nennt sein Objekt der Begierde nach ihm.

Ornithologen, Hobby-Vogelkundlern und Lateinprofessoren wird schon der erste Absatz gereicht haben, um ihn zu erkennen. Jedem anderen wird es wohl nach der vorangegangen Aufzählung klar sein. Bei jenem Superstar handelt es sich um einen gefiederten: den Spatzen. Unzählige Sprichwörter kreisen um den kleinen Vogel. So manches kann den Nicht-Muttersprachler zur Verzweiflung treiben. Was soll jemand mit einem kleinen Vogel in der Hand, der in einem Haus wohnt, auf dessen Dach eine Taube sitzen kann?

Aber was macht den Spatzen nur zu so einem Phänomen? Wäre er ein Mensch, so würde er vielleicht zum Dauergast des Amtsgerichts werden. Der Vogel kommt einfach und mietet sich im Haus ein. Sein Nest baut er in Nischen und Hohlräumen an Häusern. Wenn er einmal eingezogen ist, dann zieht er nicht mehr aus und das ohne Miete zu zahlen.

Der Spatz ist auch einer der wenigen Naturbewohner, dem der heiße und lange Sommer 2018 wenig ausgemacht hat - im Gegenteil. Laut aktueller Mitteilung des Landesverbands für Vogelschutz hatten die Spatzen überdurchschnittlichen Bruterfolg. Man kann also mehr kleine Mietnomaden erwarten. Heißt das jetzt, dass alle Hausbesitzer eines der bekanntesten Spatzensprichwörter wörtlich nehmen sollen und mit Kanonen auf die Spatzen schießen? Nein. Erstens hinterlässt es hartnäckige Blutflecken und Einschusslöcher, mit großem Kaliber auf kleine Vögel zu schießen.

Zweitens haben schon viele Hausbesitzer den Spatz vertrieben. Durch Sanierung, bessere Dämmung und übertrieben Ordnungssinn beim Gärtnern sind viele Unterschlüpfe, die der Spatz so gerne "mietet", verschwunden. Der literarische Superstar unter den Singvögeln ist dadurch bedroht und könnte die Stadt immer weniger mit seinem Gesang beseelen - was nebenbei gesagt eigentlich schon genug Miete für den Dachvorsprung ist. Für den Weltspatzentag sollte man sich ein Sprichwort zu Herzen nehmen, wenn auch in umgekehrter Form: "Lieber den Spatz auf dem Dach, als die Taube in der Hand."

© SZ vom 27.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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