Mitten in Bad Tölz:Wallfahrt ohne Bier und Schnaps

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Ohne Besoffene ist die Leonhardifahrt nicht mehr das, was sie mal war. Ihre Historie zeugt schließlich seit jeher von der innigen Verbundenheit zur bajuwarischen Braukunst.

Von Klaus Schieder

Die Leonhardifahrt in Bad Tölz ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Gewiss, die Schalkfrauen ruckeln noch immer köpfewackelnd in Truhen- und Tafelwagen übers Kopfsteinpflaster der Marktstraße, die Praxer sorgen dafür, dass die Kutschen vom steilen Maierbräugasteig nicht unter großem Hallo zurück in die Fußgängerzone rumpeln, am Ende vertreiben die Goaßlschnalzer am Khanturm die bösen Geister - womit nicht die befrackten Stadträte gemeint sind, die an ihnen vorbei zum Empfang in die Franzmühle eilen. Alles läuft in gesitteten Bahnen ab. Allerdings fehlt schon seit einigen Jahren ein integraler Bestandteil der Pferdeprozession: In den Straßen flackt abends ja kaum noch eine Bierleiche herum.

Das ist schon seltsam. Eine innige Verbundenheit zu bajuwarischer Braukunst gehörte in Tölz seit eh und je zur Wallfahrt, wovon etwa eine Beschreibung im Pfarrarchiv aus dem Jahr 1809 kündet: "Der einzige Nutzen dieser Fahrt ist für die Brauer, Köche, Metzger, Bader und Krämer. Der Nachteil hingegen fällt meistens auf die Bauern selbst, indem sie im Rausche manche Sünden, anderntags schon bereuende Frevel, begehen." 1904 meinte Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., nach einem Besuch in Tölz, die "Bier- und Schnapstrinkerei während des Hochamtes" sollte "in mehr gemäßigten Grenzen gehalten werden". 2010 verglich ein Kabarettist das Stadtzentrum nach Alkoholexzessen gar mit der Zombie-Serie "The Walking Dead". Das ist übertrieben. Horden von Bierleichen lagen damals nur schnarchend in Hauseingängen, sie haben niemanden gebissen.

Aber die Stadt griff danach gegen Besoffene durch. Inzwischen ist die Leonhardifahrt eine eher nüchterne Angelegenheit. Sie steht nun sogar im Bundesverzeichnis fürs immaterielle Unesco-Kulturerbe. "Identitätsstiftend und integrativ" sei die Wallfahrt, heißt es in der Begründung. Das stimmt. So oder so.

© SZ vom 04.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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