Mitten in Bad Tölz:Und jetzt alle: Aiiiiijaaaaajajaaaa

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In den Metropolen muss man als Straßenkünstler schon etwas leisten. Wer nicht so begnadet ist, muss sich eine kleinere Bühne suchen - zum Beispiel die Marktstraße in Bad Tölz

Von Klaus Schieder

Stadtzentren sind immer auch große Bühnen für fahrendes Volk aller Art, seit dem Mittelalter hat sich da nicht so viel geändert. Nun gut, mit einer Schellenkappe alleine oder dem Jonglieren von drei Äpfeln bekommt man heutzutage keinen Cent mehr zugeworfen. In den Fußgängerzonen der Metropolen muss man als Straßenkünstler schon zumindest fünf Stunden lang als lebende Buddha-Statue herumhocken, ohne mit einem Wimpernhaar zu zucken, oder das dritte Brandenburgische Konzert von Bach auf der Panflöte rückwärts pusten, um ein wenig Geld zu verdienen. Wer nicht ganz so begnadet ist, muss sich eine kleinere Bühne suchen - zum Beispiel die Marktstraße in Bad Tölz.

Ach, wie war das nach Weihnachten dort so herrlich still. Nur einige Passanten, kaum Touristen, keine Musiker. Wegen der langsam steigenden Temperaturen ist es mit der himmlischen Ruhe jedoch vorbei. Nun kommen wieder all jene an, die auf der Geige die ersten 20 Takte von Nino Rotas Filmmusik zum "Paten" mal mehr, meist weniger beherrschen, mit "Großer Gott, wir loben dich" auf der Blockflöte endlos von vorne beginnen oder ihr Schlagerpolkalandler-Medley auf dem Akkordeon herunterjodeln. Den Anfang machte jetzt eine fünfköpfige Familie mit Baby und Trommel aus Lateinamerika, die sich in der unteren Tölzer Fußgängerzone aufbaute. Ob sie wirklich Traditionsmusik aus den Anden darbot, lässt sich schwer sagen.

Mehr als zwei Stunden lang war - aiiiiijaaaaajajaaaaa - so eine Art Gesang mit einem Grundrhythmus - tschick-bumm-bumm, tschick-bumm-bumm - zu hören, der vielleicht auch vor 3000 Jahren - aiiiiijaaaaajajaaaa - irgendwo in einer Stadt - tschick-bumm-bumm - wie Machu Picchu erklang - bähäääähäääh (das Baby, verständlicherweise) - und damals vermutlich - aiiiiijaaaaajajaaaa - auch dort den Leuten auf die Nerven ging. So wäre zumindest einigermaßen nachvollziehbar, warum es unter den Inka-Herrschern einst das Ritual des Menschenopfers gab. In Tölz geht das natürlich nicht. Damit Ruhe ist, rät man solchen Anden-Gruppen am besten, sie möchten doch bitte noch vorm Rathaus singen.

© SZ vom 08.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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