Mitten in Bad Tölz:Ich und ich

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An zwei Orten  gleichzeitig zu sein, das können anscheinend nicht nur Heilige. Der richtige Platz dafür ist ein Parkhaus

Von Klaus Schieder

Die Gabe der Bilokation ist schon eine feine Sache. Einigen Heiligen der katholischen Kirche wird diese Fähigkeit zugeschrieben, an zwei Orten gleichzeitig zu sein, was sicher praktisch für sie war. Ein derart Gesegneter hielt zum Beispiel eine Predigt auf der Kanzel und schrieb seine Worte in der selben Sekunde daheim nieder, so ging nichts verloren. Oder er lag unterdessen neben seiner Gelieb . . ., gut, lassen wir das. Andererseits war dieses Talent nicht ohne Tücke. Jemand wie Josef von Copertino konnte seinen Ordensbrüdern ja schlecht erzählen, er sei 60 Meter in die Höhe geflogen, um ein zehn Meter großes Kreuz von Gott zu empfangen, während sie ihn in dieser Stunde in der Klosterzelle gesehen hatten. Und wenn er es doch tat, werden sie in christlicher Milde erwidert haben: Jaja, schon recht.

Auch wir wünschen uns zuweilen, der Bilokation mächtig zu sein. Wir säßen im Stadtrat und hörten dem Kämmerer zu, wie er über Bundesmittel für den Umsatzsteueranteil, die anstelle der Entlastung über das Bundesteilhabegesetz bei der Eingliederungshilfe und so weiter, mit Liebe zum Detail referiert, könnten aber zugleich zu Hause auf dem Sofa liegen und uns von den Kopfschmerzen kurieren. Aber leider sind wir weder heilig noch in der Meditation firm, um uns selbst zu klonen. Allerdings gab es jüngst einen Moment, der uns fast glauben machte, wir besäßen die Gabe.

Das war im Tölzer Zentralparkhaus. Am Tag zuvor fuhren wir hin, hielten die Dauerparkerkarte an den Automaten, die Schranke öffnete sich, alles wie immer. Abends war bei der Ausfahrt die Schranke jedoch offen, der Automat zeigte Freie Durchfahrt, was sich auch nicht änderte, als wir ihm die Karte hinhielten. Am nächsten Morgen teilte er zu unserer Verblüffung mit, wir seien bereits anwesend. Das war uns neu und warf sofort die Frage auf, was wir drinnen im Parkhaus trieben, während wir draußen im Auto saßen. Vielleicht hielten wir schon mal einen Parkplatz frei, auf den wir uns dann selbst einweisen konnten. Neugierig zogen wir ein Ticket, fuhren rein und suchten uns in allen Etagen, aber ohne Erfolg. Niemand da. Oder nein: Wir waren da, aber eben doch nicht da, oder . . . Wie auch immer. Das Zentralparkhaussystem funktioniert inzwischen wieder, die Bilokation war nur eine Illusion. Das ist schade. Wir werden weiterhin im Stadtrat sitzen, den Kämmerer hören und uns, ganz unheilig, wenigstens ein bisschen wegträumen.

© SZ vom 10.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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