Mit akustischer Raffinesse:Venezianische Anklänge

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Die "Arcis-Vocalisten" im Altarraum der Petruskirche, von wo aus die Hälfte des Chors im zweiten Teil des Konzerts auf die Empore wechselt. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die "Arcis-Vocalisten" führen in der Geretsrieder Petruskirche "Musikalische Exequien" von Heinrich Schütz auf

Von Klaus-Peter Volkmann, Geretsried

Chorwerke von Heinrich Schütz aus dem Schatten der Vergangenheit ans Licht zu holen und damit Musik des Frühbarocks zu Gehör zu bringen - das war die Idee für ein Konzert in der evangelischen Petruskirche in Geretsried am Sonntagabend, gestaltet von den Münchner Arcis-Vocalisten unter ihrem Leiter Thomas Gropper. Den Rahmen dazu bot eine Wohltätigkeitsveranstaltung des Rotary Clubs Wolfratshausen-Isartal - bei freiem Eintritt, verbunden mit der Bitte um Spenden für aktuelle soziale Projekte im Landkreis und international.

Das Konzert bot eine Begegnung mit der Musikgeschichte mit Seltenheitswert - nämlich mit geistlicher Vokalmusik von Heinrich Schütz, dem "Vater der Teutschen Musik", wie er schon im ausgehenden 17. Jahrhundert kurz nach seinem Tod bezeichnet wurde. In den 87 Jahren seines vom Dreißigjährigen Krieg und harten persönlichen Schicksalsschlägen geprägten Lebens schuf Schütz Hunderte Kompositionen, in denen er Strukturen und Stil der Musik seiner Zeit - seinen italienischen Vorbildern Gabrieli und Monteverdi folgend - schrittweise "modernisierte". Damit legte er den Grundstein für die Glanzzeit der Barockmusik eines Johann Sebastian Bach und anderer Komponisten des 18. Jahrhunderts.

Zu Beginn des Konzerts präsentierten die Arcis-Vocalisten die Johannespassion, ein Spätwerk von Schütz, das er 1666 im Alter von 81 Jahren komponierte - als A-cappella-Chorwerk, also ohne Instrumentalbegleitung - und das nach einem Dornröschenschlaf von 200 Jahren erst im 19. Jahrhundert neu entdeckt und wieder aufgeführt wurde. Schütz hat hier nur den konkreten Text des Johannesevangeliums vertont - kommentierende Arien und Chorsätze wie in den Passionen Bachs fehlen, mit Ausnahme eines Eingangs- und Schluss-Chors. Faszinierend ist die wortgetreue hautnahe Umsetzung des Textes in knappen Musik-Passagen, abwechselnd gesungen von Solisten in ihren Rollen als handelnde Personen und vom Chor in der Rolle des Volkes. Den Part des erzählenden Evangelisten übernahm Thomas Gropper selbst als Solist: engagiert und ausdrucksstark berichtend, nebenbei die nahtlosen Einsätze von Chor und Solisten organisierend. Alle Einzelstimmen der Solo-Partien waren besetzt von Chormitgliedern. Hier wurde die langjährige Erfahrung und Professionalität Groppers als Stimmbildner und Gesangsdidakt erkennbar. Klare, natürlich und sicher geführte, fast ausnahmslos perfekt intonierende Einzelstimmen - und ein runder Chorklang, den Text bestens artikulierend und ausdrucksstark mit großer dynamischer Bandbreite präsentierend.

War schon die Johannespassion ein Musikerlebnis erster Güte, so brachte der zweite Teil des Konzerts sogar noch eine Steigerung - mit der Aufführung der "Musikalischen Exequien", einer Komposition für Vokalstimmen und Basso continuo (Cello, Kontrabass, Laute und Orgel). Dabei handelt es sich um eine der kunstvollsten Trauermusiken des 17. Jahrhunderts. Schütz komponierte sie 1635/36 für seinen Landesherrn Heinrich von Reuß, indem er Bibeltexte vertonte, die dieser noch zu Lebzeiten für das eigene Begräbnis ausgewählt hatte. Zusammen mit einer Ergänzung um zwei Motetten entstand so ein "geistliches Konzert" im Sinne einer deutschen Begräbnis-Messe, für deren Aufführung Schütz selbst detaillierte Erläuterungen und Anweisungen hinterließ, deren Originale bis heute erhalten sind und die deshalb auch bei der Präsentation des Werks durch das Ensemble der Arcis-Vocalisten beachtet wurden.

Den ersten Teil der Exequien bildet eine rasche Abfolge von kurzen sechsstimmigen Chorsätzen der "Capella" im Wechsel mit unterschiedlich besetzten mehrstimmigen Solistennummern, in denen die verschiedenen Bibelverse vertont sind. Im zweiten Teil greift Schütz die venezianische Mehrchörigkeit auf, die er wohl zuvor in Italien kennengelernt hatte. Dazu wechselt die Hälfte des Chores vom Altarraum auf die Empore, und die abwechselnd oder auch gemeinsam singenden Teil-Chöre bilden - jeweils vierstimmig - eine eindrucksvolle, wunderbare Mehrstimmigkeit, der eigentlich nur noch die Goldmosaiken von San Marco fehlen, um das Glück des Zuhörers perfekt zu machen.

Diese akustische Raffinesse bietet auch der dritte Teil der Exequien noch einmal, in dem der fünfstimmige Capella-Chor ergänzt wird durch ein Solisten-Trio auf der entfernten Empore - erneut pure Freude für das Publikum, welches das seltene "Schütz-Erlebnis" in der gut besuchten Kirche am Ende mit langem, dankbaren Beifall quittiert.

Die Arcis-Vocalisten haben seit der Gründung ihres Ensembles 2005 eine eindrucksvolle Entwicklung genommen, sind aus dem Münchner Musikleben nicht mehr wegzudenken und dank ihres Gründers und Leiters inzwischen weit überregional engagiert. Dass sie für dieses Konzert in Geretsried gewonnen werden konnten, ist ein Glücksfall, den zu wiederholen man nur wünschen kann.

© SZ vom 02.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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